von MARTIN D. WIND
ROM – „Santo subito! Santo subito!“ – das war der Ruf, der noch während der Beerdigungsfeierlichkeiten aufkam und der Gänsehaut hervorrief: Johannes Paul II. war am 2. April 2005 nach langer, unter öffentlicher Beobachtung geduldig ertragener Erkrankung gestorben. Am 8. April, dem Tag der Grablege, waren nach Schätzungen rund sieben Millionen Menschen nach Rom gepilgert, um „in der Nähe“ dieses Papstes zu sein, der mit 26 Jahren wahrscheinlich das zweitlängste Pontifikat der Kirchengeschichte aufzuweisen hat.
Das ist nicht das einzige Erwähnenswerte, das dieser ungewöhnliche Mensch auf dem Stuhl Petri geleistet hat. Johannes Paul II. erkannte früh die Macht der Bilder. Als begeisterter Hobbyschauspieler wusste er um die Wirkung gelungener Inszenierungen. Und er wusste und spürte, dass er mit seiner Persönlichkeit, mit seinem Charisma, Menschen auch per Fernsehschirm erreichen konnte. So nimmt es nicht Wunder, dass unter JP II. – wie er liebevoll kurz genannt wird – das Medienpotential des Vatikans, besonders der Rundfunk- und TV-Sektor massiv ausgebaut wurden. Bald konnte man den Eindruck gewinnen, dass jeder öffentliche Schritt dieses Papstes auf Zelluloid gebannt oder später digital gespeichert wurden.
Er war es aber auch, der sich zu den Menschen begab, der als „Reisepapst“ bezeichnet wurde und dazu die hohen Mauern des Vatikans hinter sich ließ. Während seiner 104 Auslandsreisen, besuchte er 127 Länder. Immer wurde ihm ein rauschender Empfang bereitet – zumindest von den einfachen Menschen. Man mag sich kaum vorstellen, welche Ängste und Bedrängnisse die kommunistischen Funktionäre in Polen oder auch auf Kuba ertragen und ausstehen mussten, als dieser Papst mit seinem erfrischenden Lächeln und seiner menschenzugewandten, befreienden Sprache in Herrschaftsbereich ihrer menschenverachtenden und brutalen Regime auftauchte. Einfach so. Völlig angstfrei und freundlich.
Schon seine erste organisierte Ansprache nach seiner Wahl im Jahr 1978, stellte er unter das Motto „Habt keine Angst“! Das muss den Machthabern in Ost und West in die Glieder gefahren sein, deren Machtausübung auf der Verbreitung und dem Schüren von Angst basierte. So ist es kaum verwunderlich, dass heute jeder ernstzunehmende Historiker den Zusammenbruch des Ostblocks, den Sturz der sozialistischen und kommunistischen Regime, unter anderem auch dem Wirken dieses Papstes zuschreiben. Nicht umsonst war der erste Slawe an der Spitze des Vatikans eines der Hauptbeobachtungs- und Agitationsziele des KGB, des Geheimdienstes der Sowjetunion: Man spürte in den Reihen der Politfunktionäre die Gefahr, die von diesem „polnischen Papst“, wie die üblichen Kritikaster in Deutschland ihn abfällig bezeichneten, ausging.
Es war seine Authentizität, die ihn so glaubwürdig machte, sein ungezwungener Humor, seine Standfestigkeit im Glauben, seine Barmherzigkeit mit den Menschen aber auch seine klare Deutlichkeit gegenüber geweihten Amtsträgern, die sich öffentlich gegen die Lehre der Kirche und das Evangelium versündigten. Legendär sind die Bilder vom Besuch Johannes Paul II. in Nicaragua. Auf dem Rollfeld des Flughafens faltete der Papst den untreuen Priester Ernesto Cardenal öffentlich zusammen und erteilte ihm eine kurze und unmissverständliche Gardinenpredigt – vor laufenden Kameras.
Cardenal hatte mehr als ein Mal die Chance zur Umkehr eröffnet bekommen und hätte sich diese öffentliche Blamage ersparen können. Mit dieser Geste ist Johannes Paul II. ein bisher unerreichtes Vorbild für seine Nachfolger geworden. Angesichts der Entwicklungen in der von bestimmten Kreisen inzwischen als „deutsche Kirche“ bezeichneten katholischen Kirche in Deutschland, wünschen sich nicht wenige Katholiken eine ähnlich klare Ansage gegenüber den untreuen Bischöfen in den Reihen der Bischofskonferenz.
Für Menschen außerhalb der Kirche bleibt ein bis heute unerklärliches Mysterium, wie Johannes Paul II. dem Menschen verzeihen konnte, der ihn ermorden wollte: Am 13. Mai 1981 – also fast heute vor vierzig Jahren feuerte Mehmet Ali Ağca während einer Generalaudienz drei Kugeln auf den vorbeifahrenden Papst ab. Allen Erkenntnissen nach, wurde dieser feige Anschlag auf das Leben des gefährlichsten Gegners des Sozialismus und Kommunismus vom sowjetischen Militärgeheimdienst (GRU), in Zusammenarbeit mit dem rumänischen Geheimdienst und dem Ministerium der Staatssicherheit (STASI) der DDR vorbereitet. Ağca war lediglich „ausführendes Organ“, sprich Marionette. Johannes Paul II. war überzeugt, dass er diese Attacke nur dem wundersamen Eingreifen der Jungfrau Maria zu verdanken habe, die den Lauf einer Kugel abgelenkt habe.
Doch das sind jetzt eher weltliche Aspekte eines für die Kirche sehr fruchtbaren Pontifikates. Herausragend bleibt dabei die Beförderung der Marienverehrung – nicht Anbetung, wie das oft aus uninformierten Kreisen behauptet wird – und seine avantgardistische „Theologie“ des Leibes“, die vor allem jene erregt, die meinen, die Kirche sei leib- und lustfeindlich, um es mal recht platt zu sagen. Für jeden erkennbar war die Nahbarkeit dieses Papstes. Johannes Paul II. war wohl der Papst, der die hermetische Abgeschlossenheit des Vatikans, das höfische Gebaren am nachhaltigsten aus den staubigen Knochen der Kirche austrieb. Er hat den Stellvertreter Christi wieder zum Hautkontakt mit den Menschen gebracht.
Am 1. Mai 2011, vor zehn Jahren, erhob ihn der damalige Papst Benedikt XVI. – nach den Maßstäben der Kirche nach erstaunlich kurzer Zeit – zur Ehre der Altäre. Als Gedenktag des neuen Seligen wurde der Tag seiner Inthronisation, der 22. Oktober, festgelegt. Seit dem 27. April 2014 gehört er nach Heiligsprechung durch Papst Franziskus zur offiziellen Schar der Heiligen der Kirche. Für viele gläubige Katholiken von der Basis war dieser Mensch aber schon zu Lebzeiten ein verehrungswürdiger Mann und Heiliger Gottes.
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