Wahlen in Tirol: Hält sich die ÖVP im „Heiligen Land“ an der Macht?

Landeshauptstadt von Tirol: Innsbruck.

INNSBRUCK – Am Sonntag wählt das Bundesland Tirol einen neuen Landtag. Dabei könnte ein historischer Umbruch passieren: Die seit 1945 ununterbrochen regierende bürgerlich-konservative ÖVP muss mit herben Verlusten rechnen und könnte sich sogar in der Oppositionsrolle wiederfinden – zumindest rein theoretisch.

Das Ergebnis könnte ein kleines Erdbeben zwischen Nordkette und Bergisel auslösen. Seit 1945 war stets die ÖVP stimmenstärkste Partei gewesen, bis Mitte der 1980er waren Stimmanteile jenseits der 60 Prozent eher die Regel als die Ausnahme. Selbst, als sie 1989 16 Prozentpunkte einbüßte, behielt sie die absolute Mehrheit. Bis ins neue Jahrtausend lagen die Mehrheiten stets bei etwa der Hälfte der Stimmen, erst 2008 erfolgte ein „Absturz“ auf rund 40 Prozent.

Die Macht war nie gefährdet

Selbst beim historisch schlechtesten Ergebnis von 39 Prozent 2013 war die zweitplatzierte SPÖ mit 14 Prozent weit abgeschlagen. 2018 legten die Konservativen auf 44 Prozent zu und koalierten mit den Grünen. Im „Heiligen Land“ schien im Grunde alles gesichert.

Dann der Paukenschlag vor dem Sommer: Langzeit-Landeshauptmann Günther Platter, der das Land seit 2008 führte, kündigte seinen Rücktritt und vorgezogene Landtagswahlen an. Zuvor war sein langjähriger Büroleiter Florian Tursky, der als Impuls- und Taktgeber des Regierungschefs in Sachen Modernisierung galt, als Staatssekretär für Digitalisierung nach Wien gewechselt. Nachfolger Platters als Parteichef in Tirol sollte Anton Mattle werden. Hierauf folgte die Kritik: Platter habe die „Hofübergabe“ unkoordiniert durchgeführt und die Parteigremien vor vollendete Tatsachen gestellt.

Zumindest in Tirol genießt Mattle einen hervorragenden Ruf: Er war von 1992 bis 2021 Bürgermeister in Galtür und somit im Amt, als sich die Lawinenkatastrophe von Galtür im Februar 1999 ereignete. Sein Krisenmanagement und die Leistungen beim Wiederaufbau gelten bis heute als vorbildhaft.

Dennoch: So ganz rund läuft es nicht. Platters Entscheidung, nur den Parteivorsitz abzugeben, aber bis zur Wahl Landeshauptmann zu bleiben, wird von eigenen Parteifunktionären als Schwächung Mattles interpretiert, der nun nicht mit dem Amtsbonus des Regierungschefs in die Wahl gehen kann. Und dann sind da noch die Umfragen: Der Spielraum reicht hier von 25 bis 35 Prozent, wobei sich die Mehrheit der Befragungsergebnisse eher in Richtung knapp unter 30 orientiert.

Zu viele „Minimalkompromisse“

Damit ergäben sich rechnerische Mehrheiten gegen die ÖVP, die den ersten Platz zwar hielte, aber strategisch geschwächt wäre. SPÖ und FPÖ rangieren zwischen 16 und 20 Prozent, wobei die SPÖ stets knapp vor der FPÖ liegt. Das wäre zu wenig für eine (ohnehin ausgeschlossene) Zweierkoalition. Rechnerisch möglich wäre eine Viererkoalition links der Mitte, angeführt von der SPÖ mit Grünen, Neos und der Liste Fritz. Allerdings hat SPÖ-Chef Georg Dornauer verlauten lassen, keine Dreier- oder Vierervarianten anzustreben, dies brächte „zu viele Minimalkompromisse“.

FPÖ-Spitzenkandidat Markus Abzwerger ist hingegen fleißig auf Werbetour, nicht nur beim Wähler, sondern auch bei den Partnern: So diente er sich (erfolglos) Mattle als Partner für eine Zweiermehrheit an, warb aber zuletzt auch um Übereinkommen zwischen den anderen Parteien, die „nicht gottgegebene“ Dominanz der ÖVP in der Landesregierung mit flexiblen Arbeitsübereinkommen zu brechen – und selbst Landeshauptmann zu werden. Dies darf getrost als unrealistisch bezeichnet werden, zumal auch die Neos unter Landeschef Dominik Oberhofer eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen hatten.

Die Grünen zeigen sich für mehrere Varianten offen, wobei die bisherige Zweierkoalition mit der ÖVP rein arithmetisch keine Option mehr darstellt. Die Prognosen gehen von leichten Verlusten (von zehn auf acht Prozent) aus. Spitzenkandidat ist der bisherige Fraktionschef Gebi Mair, der sich bemerkenswert positiv über Anton Mattle äußerte, aber auch die Dreier- oder Vierervariante unter SPÖ-Führung begrüßen würde. Hierfür stünden auch die Neos unter Führung des Hoteliers Dominik Oberhofer zur Verfügung, deren Ziel vor allem ist, die „Dominanz der ÖVP zu brechen“, aber nicht notwendigerweise deren Regierungsbeteiligung zu beenden.

Eine klassische Protestbewegung

Ein Tiroler Regionalismus ist die „Liste Fritz“, benannt nach ihrem Gründer Fritz Dinkhauser. Nach einem Streit mit dem damaligen Landeshauptmann Herwig van Staa hatte Dinkhauser sich 2008 von der ÖVP abgespalten und seine Popularität als Präsident der Tiroler Arbeiterkammer genutzt, um aus dem Stand auf 18 Prozent zu kommen und der ÖVP die absolute Mehrheit abzujagen. Die Liste dürfte wieder auf 14-16 Prozent kommen. Ihr Personal rekrutierte sie in der Vergangenheit aus ÖVP, SPÖ und FPÖ und stellt somit eine klassische Protestbewegung dar.

Keine ernsten Chancen auf einen Einzug in den Landtag hat die Impfgegnerpartei MFG. Nachdem sie im Dezember 2021 noch bei sieben Prozent lag, haben die Umfragen sich mittlerweile bei zwei Prozent eingependelt. Angesichts der landesweiten Fünf-Prozent-Sperrklausel ist diese Kandidatur somit ein aussichtsloses Unterfangen.

Klar ist bisher nur, dass die Rolle der ÖVP eine schwächere sein wird als bisher. Dass sie den Landeshauptmannsitz verliert oder gar aus der Regierung ausscheidet, scheint aber äußerst unwahrscheinlich. Sollten die Konservativen eine Regierungskoalition anführen (wofür eine Zweierbeziehung mit den Sozialdemokratien die wahrscheinlichste Variante scheint), könnte sich im Heiligen Land möglicherweise gar nicht so viel ändern.

Bildquelle:

  • Landeshauptstadt_Innsbruck_Tirol: thegermanz

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