von STEFAN MEETSCHEN
BERLIN/WARSCHAU – Gibt es einen Ort in Europa, an den man sich zurückziehen kann, um nicht zu sehr von der Realität belästigt zu werden? Ein Refugium, wo man in Ruhe schreiben, leben und lesen kann, ohne sich ständig zu fragen, ob die Welt eine offene Psychiatrie geworden ist? Vermutlich nicht.
Doch wenn ich in diesen Zeiten der „Disruption“, des „westlichen Schismas“ an einen Ort der inneren Sicherheit denke, dann fallen mir zwei Warschauer Wohnungen und ein Haus im Wald ein, in die ich mich bald wieder ganz hinbewegen werde, um weiter an Romanen und anderen Projekten zu arbeiten. Mein „Deutschland-Ticket“ habe ich gekündigt.
Ich fühle mich dort in Warschau und Umgebung heimischer als in Berlin und wenn, was nach den turbulenten „Trump-Dekret-und-Diplomatie-Festspielen“ der vergangenen Tage keine Überraschung wäre, bald doch noch die Russen in kriegerischer Mission rüberkommen, um die verlorenen Länder des „Warschauer Paktes“ zurückzuerobern, dann bin ich wenigstens in meinem Sehnsuchts- und nicht in meinem merkwürdigen Herkunftsland, das ich schon als Kind verlassen wollte und das in den vergangenen Jahren zu einem Schmelztiegel von Extremisten geworden zu sein scheint, während es wirtschaftlich und technologisch im internationalen Vergleich wie abgehängt wirkt.
Natürlich, Europa muss sich nach dieser schlimmstmöglichen diplomatischen Wendung des Krieges um die Ukraine, bei der man den Eindruck gewinnen kann, dass auch in Washington bzw. Mar-A-Lago ein russischer Präsident sitzt, auf seine eigene Stärke besinnen. Doch welche Stärke soll das sein? Technologisch und militärisch ist uns Europäern der „Techno-Feudalismus“ Amerikas, wie Yanis Varoufalis sagt, haushoch überlegen. In Sachen „einheitliches Vorgehen“, das konnte man bei der hastig von Emanuel Macron zusammengetrommelten Pariser Krisen-Konferenz sehen, haben sich die Europäer auch nicht sehr weiterentwickelt. Ein aufgescheuchter Haufen. Ohne Plan. Zerrissen und bedeutungslos geworden, weil jahrelang in der Europäischen Union die hard skills vernachlässigt wurden?
Dass der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, zum Abschied auf offener Bühne weinte, wirkt – auch wenn es menschlich sympathisch ist – symptomatisch für die Hilflosigkeit des Kontinents. Völlig unabhängig übrigens davon, ob die J.D. Vance-Rede die Tränen mitverursacht hat, was Heusgen bestreitet, oder nicht.
Doch ich bleibe optimistisch. Ich habe bereits via Briefwahl meine Kreuze an den Stellen gemacht, wo ich Freiheit, Fortschritt und individuelle Verantwortung am stärksten im Angebot wähne. Ich habe mich also selbst gewählt – die Werte, an die ich glaube. Wider den staatskuscheligen Kollektivismus-Geist, dem viele Deutsche so gern frönen, wenn sie von „unserer Demokratie“ oder „unserem Vaterland“ schwärmen. Mein liberales Demokratie-Verständnis ist ein anderes.
Zuerst erschienen auf dem Blog von Stefan Meetschen: http://www.stefan-meetschen.de
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