BERLIN – Der demografische Wandel wird Deutschland mit voller Wucht treffen. Bereits jetzt klagen zahlreiche deutsche Firmen und Geschäfte über Fachkräftemangel. Dazu kommen neue Herausforderungen in der modernen Arbeitswelt, wie beispielsweise Work-Life Balance, Fachkräftezuwanderung oder neue Formen der Bewerbungsverfahren. Doch wie ist Deutschland auf diese Herausforderungen vorbereitet. Darüber sprach Michael Sting mit dem Executive-Agent Alexander Graf Matuschka.
Graf Matuschka, Sie sind bereits seit mehr als 20 Jahren in der Karriere- und Personalberatung tätig. Was sind die größten Veränderungen, die Ihnen in den vergangenen Jahren aufgefallen sind?
Geändert hat sich alles. Bis auf Top Positionen geht es zunehmend digital anonym und unpersönlich zu. Das persönliche Netzwerk wurde weniger und weniger wertvoll. Verantwortung wurde delegiert hin zu dem AC Assessment Centern – womit Personalberater zusätzlich beauftragt werden – diese dauern z.T Tage und kosten viel Geld, in der Regel zwischen 2000 und 10.000 Euro und teilweise noch mehr.
Obwohl die geburtenstarken Jahrgänge vermehrt auf dem Arbeitsmarkt auftreten, ist hier noch keine Durchlässigkeit aufgetreten. Und das trotz des Fachkräftemangels. Quotenbesetzungen nahmen und nehmen immer noch zu – z.T sehr zu Lasten der Qualität – man will „politisch correct“ sein – koste es was es wolle.
Aktuell sind Sie als Executive-Agent tätig. Bitte erläutern Sie unseren Lesern doch kurz, was Sie sich unter dieser Tätigkeit vorstellen können!
Als ‚Agent‘ berate und platziere, empfehle und vermittele ich Führungskräfte in neue adäquate Aufgaben – durch mein Netzwerk und Zugänge zu Entscheidern und Märkten, die meine Kandidaten alleine nicht haben.
Bei Ihren Kunden handelt es sich ja um hoch qualifizierte Fach- und Führungskräfte. Brauchen diese Menschen tatsächlich noch eine Karriereberatung?
Führungskräfte können diese Leistung mal mehr, mal weniger brauchen – aber mit heute ca.900+ vermittelten/platzierten Kandidaten ist das sicher wertvoll.
Die Bundesregierung und die Wirtschaft klagen über Fachkräftemangel in Deutschland. Aus diesem Grund werden regelmäßig die Standards gesenkt, um die Einwanderung zu erleichtern. Gleichzeitig sind knapp eine Viertelmillion Deutsche allein 2021 ausgewandert. Fast drei Viertel von ihnen haben ein Studium abgeschlossen. Zu diesem Schluss kam eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Sollten wir uns erstmal darauf konzentrieren, die heimischen Fachkräfte zu behalten?
Ja, aber diese Führungskräfte sind in der Mehrheit gut qualifiziert, mobil und teilweise auch unabhängig – da wägt man ab, wie die aktuelle Perspektive ist. Und was man von der Zukunft erwarten darf. Die Abwanderung aufgrund innerer Kündigung ist ein meines Erachtens z.T tot geschwiegenes dröhnendes ‚Geheimnis. Um Prof. Watzlawik zu zitieren: „Einsicht führt zu Blindheit, wenn die Lösung zum Problem wird. Das Erwachen gegenüber der Realität kann dann um so schmerzhafter werden.“
Wir haben Zuwanderung, doch ein großer Teil wandert direkt in die Sozialsysteme. Warum ist Deutschland für Fachkräfte so unattraktiv im Vergleich zu Ländern wie den USA oder den skandinavischen Ländern?
Ich denke nicht „so unattraktiv“. Zumindest bisher, aber die Perspektivlosigkeit im Lande wächst signifikant an. Energiekosten Explosion, die irrsinnige Energiewende, die öffentliche Sicherheit, das schwache Abschneiden bei PISA und im Hochschulranking seit Jahren, Weggang der Zukunftstechnologien. Topleute überlegen sehr gut wohin sie gehen.
Wenn Sie darüber entscheiden könnten: Welche drei Maßnahmen würden Sie direkt umsetzen, um die Bundesrepublik Deutschland für Fachkräfte attraktiver zu machen?
Qualifizierte Zuwanderung aktiv fördern. Minderleister die nicht integrierbar sind oder nicht mitwirken abweisen, Leistung muss sich lohnen, für alle. Dieses Prinzip existiert so nicht mehr, und das ist im Ausland bekannt. Fehlanreize locken Migranten an, die keine Beitrag bringen wollen oder können. Das führt zur Spaltung innerhalb der Migranten, die gut Integriert sind gegenüber denen, die sich im Sozialstaat eingerichtet haben. Und in der deutschen Bevölkerung sowieso.
Noch eine Frage. Was würden Sie jemanden empfehlen, der die Karriereleiter ganz nach oben steigen möchte, aber noch nicht über das richtige Netzwerk verfügt?
Vernetzen, vernetzen, vernetzen – fleißig und hungrig sein auf Neues, Leistung bringen und fördern. Nicht der Stehcocktail, sondern der Kundenbesuch und die Extrameile in der Firma führt zum Ziel. Karriere macht man nur mit den (einen umgebenden) Menschen, nie gegen die Kollegen und Mitmenschen.
Bildquelle:
- Matuschka: thegermanz