Wir waren Papst – zum Tod von Benedikt XVI

ARCHIV - Benedikt XVI. 2011 auf dem Petersplatz. Der emeritierte Papst ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Foto: Michael Kappeler/dpa

von KLAUS KELLE

ROM – Am Ende war es nicht überraschend. Wenn man 95 Jahre alt geworden ist, dann weiß jeder, dass das irdische Leben bald enden wird. Auch für einen Papst, nach Definition der katholischen Welt der Nachfolger auf dem Stuhl des Apostels Petrus. «Schmerzerfüllt muss ich mitteilen, dass Benedikt XVI., Papst Emeritus, heute um 9:34 Uhr im Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan verstorben ist», teilte der Sprecher des Heiligen Stuhls, Matteo Bruni, vorhin mit. Der Gesundheitszustand des gebürtigen Bayern hatte sich in den vergangenen Tagen deutlich verschlechtert.

Joseph Ratzinger wurde am 19. April 2005 zum Nachfolger von Johannes Paul II. zum Papst gewählt. Acht Jahre später trat der Mann, vom dem man sagt, dass er nie Papst habe werden wollen, in einem spektakulären Schritt als erster Papst seit mehr als 700 Jahren freiwillig zurück. Auf ihn folgte der Argentinier Jorge Bergoglio als Papst Franziskus.

Es heißt, jede Zeit hat ihren Papst. Früher habe ich das nicht verstanden. Ein Papst ist entweder der Richtige oder der Falsche, er ist entweder würdig oder unwürdig, gut oder böse (gab es leider auch). Aber er ist immer ein Abbild seiner Zeit.

Als ich vor 35 Jahren, nach einem dreijährigen Prozess der Selbstprüfung, beschloss, um Aufnahme in die Katholische Kirche zu bitten, wurden dieser Weg und diese Entscheidung maßgeblich beeinflusst durch Papst Johannes Paul II. Nicht direkt natürlich, ein Papst, der zum Telefonhörer greift und ganz einfach Leute anruft, um zu plaudern, das gab es damals noch nicht. Das begann erst mit der Ära Franziskus.

Aber Johannes Paul II war ein Papst nach meinem Geschmack, nachdem ich mehr durch Zufall begonnen hatte, mich mit der katholischen Lehre und Kirche intensiv zu beschäftigen. Konservative Menschen wie ich suchen nach einem Orientierungsrahmen, nach Menschen, die überzeugend sind, die mitreißen. Und ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Anführer erlebt zu haben, der das so konnte wie der Papst aus Polen. Ohne Kompromisse pro Jesus Christus, gegen eine „Kultur des Todes“, gegen den gottlosen Kommunismus, gegen Materialismus und den ungezügelten Hedonismus im Westen. Ich bekomme Gänsehaus, wenn ich an seine Predigten zurückdenke, an den gebrechlichen alten Mann, der sich angesichts schwindender Kräfte an seinem Hirtenstab festkrallte und mit grimmigem Gesicht und brüchiger Stimme dem Zeitgeist widerstand – wie ein Fels in der Brandung.

Was für ein Gegensatz zum Feingeist Benedikt

Am 19. Oktober 2003 standen meine Frau und ich morgens ab 4 Uhr in der Frühe mit Hunderttausenden Gläubigen aus aller Welt in Rom vor den Absperrgittern zum Petersplatz und warteten auf Einlass zur Seligsprechungsfeier der inzwischen heiligen Mutter Teresa von Kalkutta. Damals zelebrierte Papst Johannes Paul II.

Am Tag danach waren wir mit 2000 anderen deutschen Pilgern des Maltester Hilfsdienstes im hinteren Teil des Petersdoms zu einer Heiligen Messe, die ein gewisser Kardinal Josef Ratzinger zelebrierte. Dieser gebrechlich wirkende Kardinal aus Bayern sprach mit leiser Stimme und mit einer Ruhe, die keine Sekunde den geringsten Zweifel an seinem, an unserem, Glauben zuließ. Ich weiß noch, dass ich bei Ratzingers Predigt irgendwann dachte, der Mann redet über die Jünger Jesu so, als kenne er Petrus und Paulus aus gemeinsamen Gesprächen abends bei einem Glas Rotwein persönlich. So vertraut, so absolut sicher, es treibt mit heute noch Schauer über den Rücken, wenn ich an diese Predigt denke.

Zum ersten Mal bekreuzigt

Als der Kardinal nach der Messe durch die Reihen der Gläubigen schritt und die Menge segnete, bemerkte ich, wie sich meine Frau, damals noch evangelisch, bekreuzigte, als der Gottesmann an ihr vorbeiging. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Vielleicht war dieser Moment die Initialzündung, nach der sie sich auf den Weg zu Gott aufgemacht hat. Acht Jahre danach, wurde auch sie in die katholische Kirche aufgenommen

Mit der dunklen Seite umgehen müssen

Ich habe Papst Benedikt mehrfach selbst erlebt, beim Weltjugendtag damals auf einem großen Feld bei Köln. Dann in München, ich weiß noch, wie verwundert ich war, wie viele Menschen in bayerischen Trachten zum Gottesdient kamen.

Doch in Erinnerung geblieben ist mir besonders ein Abendessen in der Vorweihnachtszeit 2010 in einem gemütlichen italienischen Restaurant an der Aachener Straße in Köln mit dem späteren Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz. Er erzählte mir mit ernstem Gesichtsausdruck, dass er wisse, dass in den nächsten Tagen furchtbare Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln öffentlich bekannt werden würden. Und das sei nur die Spitze eines Eisberges, denn zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch gebe es überall in der Kirche – in Deutschland und auf der ganzen Welt.

Es war kein lebhafter Abend, keine fröhliche Plauderei wie sonst, wenn wir uns getroffen haben. Uns war klar, dass da eine Riesenwelle auf unsere Kirche zurollte, geeignet, um sie im Kern zu zerstören. Wenn gläubige Christen nicht einmal mehr auf Priester vertrauen können, denen sie ihre Kinder anvertrauen – ja, auf wen denn dann überhaupt noch?

Benedikt war ein Gelehrter, hochintellektuell, einer, der mitreißende Bücher über Jesus Christus schrieb. Aber er war keiner, der die Durchsetzungskraft hatte, seine Kirche nach Bekanntwerden der schrecklichen Missbrauchsfälle auf den Kopf zu stellen. Ja, er entschuldigte sich immer wieder bei den Opfern, er ließ Verhaltensregeln für Priester und Mönche ändern. Ein Ordensmann von den Legionären Christi (LC), die sehr engagiert in der Jungend- und Bildungsarbeit sind und – wie ich finde – großartige Arbeit für die Zukunft der Kirche leisten, erzählte mir damals, wenn sie mit Jungs auf einem Zeltlager oder Sommercamp unterwegs seien und bei einem Fußballspiel einer ein Tor schießt, dann dürften sie als Priester den Torschützen nicht abklatschen oder auf die Schulter klopfen. Null Körperkontakt mehr.

Ich bin sicher, Papst Benedikt, hat sich sein Pontifikat ganz anders vorgestellt als es verlief. Sie haben nach seinem Rücktritt immer wieder versucht, diesen untadeligen Gottesmann in den Schmutz zu ziehen. Erst vor einem Jahr wurde ein vom Erzbistum München und Freising in Auftrag gegebenes „Gutachten“ in die Öffentlichkeit lanciert, in dem dem früheren Erzbischof Ratzinger Fehlverhalten in vier Fällen vorgeworfen wurde.

2022 geriet auch sein eigener Umgang mit Missbrauchsfällen in der Zeit als Erzbischof von München und Freising in die Schlagzeilen. Ein vom Münchener Erzbistum in Auftrag gegebenes Missbrauchsgutachten warf ihm Fehlverhalten in vier Fällen vor. Benedikt war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising gewesen.

Zuvor war es um den Papst im Ruhestand still geworden. Obwohl er bis ins hohe Alter geistig fit war, wie sein Privatsekretär Gänswein immer wieder betonte, baute er körperlich stark ab. Vor ihm starb bereits sein älterer Bruder Georg Ratzinger am 1. Juli 2020 im Alter von 96 Jahren in Regensburg. Benedikt hatte den ehemaligen Kirchenmusiker noch kurz davor am Krankenbett besucht. Der Bruder und seine 1991 gestorbene ältere Schwester Maria standen ihm zeitlebens am nächsten.

Benedikt prägte die katholische Kirche schon weit vor seinem Pontifikat. Als Präfekt der Glaubenskongregation in Rom hatte Kardinal Ratzinger, geboren am 16. April 1927 im oberbayerischen Marktl am Inn, bereits mehr als 20 Jahre Kirchengeschichte geschrieben. Seine strenge Haltung zu Themen wie Geburtenkontrolle, Abtreibung oder Zölibat begeisterte viele katholische Gläubige in Lateinamerika und Afrika, wurde aber von der zunehmend an Bedeutung verlierenden Kirche im hedonistischen Westen zunehmend abgelehnt.

Ich bin sicher, Papst Benedikt ist jetzt an einem besseren Ort als diese Erde, die erkennbar vollkommen aus den Fugen gerät.

Ruhe in Frieden, Papa Benedikt!

Bildquelle:

  • Papst Benedikt: dpa

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.