Alles außer Hochdeutsch: Warum nicht Christian Streich für Deutschland?

von RALF GRENGEL

Gestern hat der Kollege Mark Zeller hier bemerkenswert treffend die Situation um den Rücktritt von Bundestrainer Joachim Löw analysiert. Wirklich absolut lesenswert. Wenn man den ersten Satz des letzten Absatzes ignoriert.

Aber der Reihe nach: Beim DFB braucht es einen kompletten Neuanfang? Korrekt! Der Rücktritt von Löw läuft wegen Desinteresse unterm Radar? Korrekt! Das Fußballvolk begegnet der Nationalelf mit Gleichmut? Korrekt! Löw leistete sich nach dem WM-Titel 2014 zu viele Stockfehler – taktisch und personell? Korrekt! „Die Mannschaft“, das Marketingprodukt Bierhoffscher Prägung, hat die Identifikation der Fans mit dem Team zerstört? Korrekt! Also weg damit? Korrekt! Das WM-Debakel 2018 leitete einen peinlichen Absturz ein, mit dem Höhepunkt des 0:6 gegen Spanien? Korrekt! Nun braucht es einen Löw-Nachfolger, der emotionalisiert? Korrekt! Einen, der weg von „Die Mannschaft“ hin zum WIR führt? Korrekt!

Stefan Kuntz wäre so einer? Nein! Das ist er. Der Satz, den Sie ignorieren sollten.

Wir brauchen einen Neuanfang. Schon vergessen, Kollege Zeller? Wie kann es den geben, wenn der DFB einfach die logische Erbfolge einhält und den Junior(en)-Chef zum Big Boss befördert? Derselbe Stallgeruch, dieselbe Bierhoffsche Prägung, erst mit der DFB-Muttermilch zum Trainer gewachsen. Um es zu verdeutlichen: Stefan Kuntz, der Europameister von 1996 (wir werden seinem Ausgleichstreffer im Halbfinale gegen Gastgeber England ewig huldigen), hat in seiner Trainervita, abgesehen von dreieinhalb Lehrjahren in grauer Vorzeit, seit  2003 genau EINE Station aufzuweisen. Die des U21-Trainers des DFB. Seit 2016 betreut er den Jogi-Unterbau. Das hat er gut gemacht. Keine Frage. 2017 wurde er mit seinem Team sogar Europameister.

Vor seinem DFB-Engagement hat er allerdings eine zwölfjährige Pause vom Traineramt eingelegt. Nachdem er u.a. als Feuerwehrmann beim SV Walhof Mannheim angeheuert hatte, um seine Mannschaft dann mit brennenden Fahnen (sechs Niederlagen aus den letzten acht Zweitligaspielen) in die Drittklassigkeit zu führen. Auch seine zwei anderen Profiengagements beim Karlsruher SC und LR Ahlen waren ähnlich wie in Mannheim weder von Erfolg – insgesamt 100 Zweitligaspiele mit einem Punkteschnitt von 1,27 (!) – noch von Kontinuität gekrönt. Letztere bewies er zumindest als Funktionär. Vor seinem Wechsel zum DFB war er acht Jahre lang Vorstandsvorsitzender des 1. FC Kaiserslautern. Einer von jenen Traditionsklubs, von denen heute niemand mehr weiß, in welcher Liga sie eigentlich spielen. Ist das noch drittklassig oder kann das weg?

Und ausgerechnet jener Stefan Kuntz, mittlerweile fast 60 Jahre jung, soll anno 2021 für Neuaufbau stehen? Soll emotionalisieren? Und dafür sorgen, dass Sie und ich und all die anderen Fußballverrückten da draußen wieder zum WIR werden? Das ist ungefähr so, als sollte Armin Laschet all die desillusionierten CDU-Wähler bis September zu begeisterten Wahlkämpfern auf den Marktplätzen dieser Republik machen.

Kann nicht funktionieren, sagen Sie? Korrekt!

Aber wer hätte dann das Zeug dazu? Also zum Bundestrainer. Jürgen Klopp? Na klar, aber der kann gerade nicht. Sagt er zumindest. Ralf Rangnick? Fachlich der Beste. Aber der „Fußball-Professor“ würde auch Bierhoff erklären, wie er seinen Job zu machen hat. Fällt also auch aus. Lothar Matthäus? Vielleicht, wer weiß? Wir werden es nie erfahren. Denn dem „Loddar“ fehlt die Lobby beim DFB. Hansi Flick? Perfekt und naheliegend. Aber der darf nicht, sagt sein Arbeitgeber, Bayernboss Karl-Heinz Rummenigge. Julian Nagelsmann? Thomas Tuchel? Beide wären eine exzellente Wahl. Doch die zwei Taktiktüftler haben Zeit, zu warten, wollen und sollen zunächst noch Titel auf Vereinsebene gewinnen.

Bleibt immer noch einer, der alles hätte, was es braucht. Alles, was der Kollege Zeller einfordert. Einer, der für Aufbruch steht, einer der emotionalisiert und einer, der aus uns allen wieder ein WIR machen würde: Christian Streich. Ja, der Verrückte vom SC Freiburg. Das liegt in Baden-Württemberg. Und Fußballlehrer, die da herkommen, können bekanntlich alles. Außer Hochdeutsch.

Bildquelle:

  • Christian_Streich_SC_Freiburg: reuters

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