ANGELA MERKEL Ernüchtert und desillusioniert: Nicht vom Traumland, aber von seinem Präsidenten

Merkel hat die USA trotz mancher Hindernisse wie in der Finanzkrise mit US-Präsident George W. Bush oder mit der Abhöraffäre zu Zeiten Barack Obamas immer unbeirrt als wichtigsten Partner bezeichnet. Foto: Michael Kappeler

von KRISTINA DUNZ

Berlin – Von diesem Traum erzählt Angela Merkel immer wieder: Im Rentneralter wollte sie unbedingt zu allererst nach Amerika. Da war die Physikerin noch jung, eine recht brave DDR-Bürgerin und hinter einer Mauer eingesperrt. Die Vereinigten Staaten waren für sie der Inbegriff von Freiheit.

Für Meinung, Religion, Presse, Reisen, einfach alles. Ihr Traum wurde viel früher wahr. Die Mauer fiel, die Naturwissenschaftlerin kämpfte sich in der Politik nach ganz oben. In Deutschland, Europa, in der Welt. Washington als wichtigster Partner an der Seite. Doch jetzt geht Merkel einen neuen Weg.

«Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt.» Merkel hat das am Sonntag in einem Bierzelt in München gesagt, wenige Stunden nach Ende des für den Zusammenhalt der westlichen Industrienationen desaströsen G7-Gipfels auf Sizilien. Ernüchtert, desillusioniert, verstimmt. Nicht über den großen Freund und Partner USA im Ganzen, sondern über seinen neuen Präsidenten Donald Trump. Und auch ein wenig über Großbritannien, das der Europäischen Union den Rücken kehrt – und in ihrer Mitte doch so sehr gebraucht würde.

Merkel weiß um die vielen Stimmen in den USA, die sie nach der Wahl von Trump im vorigen Herbst als letzte Retterin der liberalen westlichen Werte auserkoren hatten. «Völlig absurd» nannte Merkel das damals. Aber inzwischen arbeitet sie an diesem Ruf – ob gezielt oder automatisch. Vertrauen, Berechenbarkeit – das ist der Kitt, der Partner zusammenhält, auch wenn es mal kracht und scheppert. Aber wenn für Merkel auch nur «ein Stück vorbei» ist, wird es ernst.

Sie hat die USA trotz mancher Hindernisse wie in der Finanzkrise mit US-Präsident George W. Bush oder mit der Abhöraffäre zu Zeiten Barack Obamas immer unbeirrt als wichtigsten Partner bezeichnet. Weil die Bundesrepublik nach denselben Werten strebt, nach Freiheit, Gleichheit, Menschenrechten, Gerechtigkeit. Aber auch, weil Deutschland auf die Hilfe der USA bei Sicherheit, Verteidigung und Geheimdiensten angewiesen ist. Daran will Merkel sicher nichts ändern. Regierungssprecher Steffen Seibert betont am Montag: «Da hat eine zutiefst überzeugte Transatlantikerin gesprochen.» Gerade weil die transatlantischen Beziehungen so wichtig seien, sei es auch richtig, Differenzen ehrlich zu benennen. Aber das tut eben weh.

In den jüngsten Wochen hat Merkel auffallend oft betont, man müsse in Jahren, wenn nicht Jahrzehnten rechnen. In der DDR hätten viele an den Mauerfall geglaubt und seien belächelt worden. Und nach 28 Jahren sei es so gekommen. Sie könnte auch sagen: Die Amtszeit eines US-Präsidenten ist spätestens nach acht Jahren zu Ende.

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley wirft Merkel vor, ihre Kritik an den USA inszeniert zu haben. «Es ist keine Kunst, im Bierzelt über Donald Trump zu schimpfen», sagt sie. Das hätte Merkel beim G7-Gipfel tun sollen. Aber die kurze Passage in Merkels Wahlkampfrede bei der CSU von Horst Seehofer in München wird schnell von Medien in den USA und auch in Großbritannien verbreitet. Als hätte Merkel eine Brandrede gehalten. Es gibt lange Berichte, Analysen, Fragezeichen, was Merkel, die wohl mächtigste Frau der Welt, damit nun bewegen wird. Wird Europa Amerikas Platz als wichtigster Partner einnehmen? Wird Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron nun der international engste Verbündete Merkels, die große Hoffnungen in ihn bei Wirtschaftsreformen und der Weiterentwicklung der EU setzt. Wo sind die neuen großen Linien – mit China für den Klimaschutz?

Merkel dürfte sich der Brisanz ihrer Worte im Münchener Stadtteil Trudering bewusst gewesen sein. Zwar ist sie natürlich längst im Wahlkampf für die Bundestagswahl am 24. September. Aber sie gilt nicht als Zockerin. Sie würde das deutsch-amerikanische Verhältnis kaum derart auf die Probe stellen, sähe sie nicht eine Gefahr in Trumps Verhalten, an internationale Errungenschaften zu rütteln, gegen Verbündete zu poltern und zugleich Deals mit Autokraten bei Gold und Pomp wie in Saudi-Arabien zu machen. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) spricht gar von einem «Ausfall der Vereinigten Staaten als wichtige Nation» und einer «Veränderung im Kräfteverhältnis in der Welt». Sein Fazit: «Der Westen wird gerade etwas kleiner.»

Also Europa. Merkels gar nicht neue, jetzt aber um so drängendere Botschaft ist eben: Europa muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Das wird aber eine riesige Herausforderung: Vor allem für die Sicherheit, die Verteidigung und die Nachrichtendienste. Ohne die USA läuft da wenig. Sie haben Deutschland und Europa durch ihre Kenntnisse und Fähigkeiten oft vor Schlimmeren bewahrt. Die Deutschen müssen sich dann wohl darauf einstellen, dass die Bundeswehr aufgerüstet werden und ihre Soldaten häufiger in einen Krieg ziehen müssen. Etwas, was die Bürger gar nicht schätzen und etwas, was die SPD gegen Merkel im Bundestagswahlkampf aufbringen wird.

Bildquelle:

  • Merkel und Trump: dpa

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