von THILO SCHNEIDER
BERLIN – Es wird sie meist nur die Minderheit der deutschen evangelischen Christen von 25 Prozent kennen: Die EKD-Ratsvorsitzende und Stimme des protestantischen Herrn in Deutschland, Annette Kurschuss. Annette Kurschus ist damit so etwas wie der protestantische Gegenpapst zu Franziskus, aber ohne Avignon, Zölibat und Exkommunikation. Die Protestanten waren schon immer etwas entspannter als die Katholiken und die Verhältnisse sind nach den Ausdünnungen des 30-jährigen Krieges auch ziemlich geklärt.
Nichtsdestotrotz sind auch evangelische Christen so etwas ähnliches wie richtige Christen, sie feiern Weihnachten und Ostern, nur ohne die Bewegungsintensivität der Gottesdienste ihrer katholischen Glaubensbrüder*Innen. Nix mit Setzen, aufstehen, knien. Aber ich schweife ab.
Die für ihre 60 Jahre recht rüstige Annette Kurschus „will“ zwar „nicht belehren“, kann es sich aber doch nicht ganz verkneifen
So referierte sie zum Thema Corona-Impfung im Deutschlandfunk: „Impfen ist eine Pflicht aus christlicher Nächstenliebe heraus“.
Oder, umgedreht: Wer sich nicht impfen lässt, dem mangelt es an christlicher Nächstenliebe. So etwas kann man natürlich machen, wenn aber der eigene Club mehr Anhänger als die SPD Wähler hat, dann hat das nicht nur etwas von Belehrung, sondern auch von schwarzer Pädagogik. Wer sich nicht impfen lässt, ist des Teufels und wird von Jesus verachtet. Auf jeden Fall aber von Annette Kurschus, was dem ähnlich kommt…
Dann ist Annette Kurschus der Meinung: „Kriegstreiber werden nicht das letzte Wort haben.“ Bis zum letzten Worte kämpfend und mit den letzten Worten um Nächstenliebe ringend definiert Annette Kurschuss das dann so: „Waffen für die Ukraine sind christliche Pflicht der Nächstenliebe.“
Da isse ja schon wieder, die „christliche Pflicht der Nächstenliebe“. Wer sich also, getreu dem Spiel „Ich nehme meine christliche Pflicht der Nächstenliebe und packe rein: Impfen und Waffenlieferungen“, für einen aufrechten Christenmenschen hält, der muss geimpft sein und Waffen an die Ukraine liefern.
Wenn Sie jetzt dachten, dass es jetzt aber mal gut mit den Pflichten der christlichen Nächstenliebe sei – falsch. Denn jetzt möchte Anette Kurschus „Klimaschutz und Gerechtigkeit zusammen denken“. Oder „zusammendenken“. Irgendwie so. Denn: „“Gesetze, die dem Schutz des Lebens dienen, dürfen nicht denjenigen schaden, die ohnehin zu wenig zum Leben haben.“
Oder, in Kurzform: „Wärmepumpen sind Pflicht christlicher Nächstenliebe“. Nein, das hat sie so nicht gesagt, passt aber in den Duktus von Frau Kurschus, die augenscheinlich lieber Chefin der Grünen als EKD-Ratsvorsitzende wäre. Gerade die evangelische Kirche spielt sich hier als verlängerter Arm der Parteizentrale der Grünen auf, statt sich um die Kernanliegen ihrer verbliebenen protestantischen Schäflein zu kümmern.
Wo immer es besonders woke und besonders grünenfreundlich ist, befindet sich Annette Kurschus bereits vor Ort und am Puls des Zeitgeistes und „mitten unter Ihnen“. Sie schwänzte dankenswerterweise nur das „Vulven malen“ auf evangelischen Kirchentagen. Sie ruft zur Aufnahme afghanischer Flüchtlinge auf, zur Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge, wünscht sich hier „großzügige Lösungen“ und hätte außerdem gerne 100 Milliarden Euro „zur Bekämpfung der Armut“, denn der Herr lässt bekanntlich Geld wie Manna vom Himmel regnen, solange es noch genug Steuerzahler gibt, die von Finanzamt und evangelischer und katholischer Kirche noch nicht komplett finanziell ausgeplündert wurden.
Wollen wir gemeinsam feststellen, dass die Zahlung von 100 Milliarden Euro „eine Pflicht christlicher Nächstenliebe“ sind, oder soll das Frau Kurschus übernehmen? Apropos „übernehmen“: Eine Institution, die pro Jahr ca. 12 Milliarden Euro an Einnahmen hat und mutmaßlich auf einem Vermögen von 200 Milliarden Euro sitzt – wie viel Geld stellt diese Institution eigentlich der Armutsbekämpfung zur Verfügung – oder möchten die evangelischen Kirchenmäuse lieber nicht arm sein, weil das doch irgendwie auch doof ist?
Wie alle Weltverbesserer fängt Annette Kurschus also bei der Verbesserung der Welt lieber bei anderen als im eigenen Clubhaus an.
Sie hat zu allem eine Meinung und zufällig auch immer die richtige Meinung, möchte aber niemanden belehren, dann kommt er eben in die Hölle, sein Pech. Sie ist hier und da und dort und da drüben, stets rührig, stets rüstig und wer eine Annette Kurschus im Haus hat, der hat genug heiße Luft und braucht auch keine Wärmepumpe mehr. Man sehnt sich geradezu nach den Zeiten, als die erste Vorbeterinnen-Frau im Amt von Frau Kurschus, ganz schwer mit 1,5 Promille angeschickert, von der Polizei aus ihrem Auto gehievt wurde. Da machte es noch Spaß, den ersten Stein aus dem Glashaus zu werfen.
Wie viele Wärmepumpen haben eigentlich die evangelischen Einrichtungen so?
(Weitere himmelhochjauchzende Artikel des Autors hier und unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.
Bildquelle:
- Annette Kurschus: dpa