Gastbeitrag von WERNER OLLES
Das „Mitteilungsblatt“ der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) vom März 2021 widmet sich in einem umfangreichen Beitrag von Weihbischof Msgr. Bernard Tissier de Mallerais dem 30. Todestag des Gründers der „Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii Decimi“, der am 25. März 1991 im Schweizer Martigny verstarb. Am 29. November 1905 in der nordfranzösischen Stadt Tourcoing in einer kinderreichen, tiefgläubigen katholischen Familie geboren, trat er mit 18 Jahren in das französische Seminar in Rom ein und wurde im September 1929 zum Priester geweiht. Nach seinem Doktorat in Theologie begann er in der Diözese Lille seine pastorale Arbeit. Nach dem Noviziat in der Kongregation der Väter vom Heiligen Geist schickte man ihn nach Gabun, hier wurde er bald zum Rektor befördert und legte nach drei Jahren missionarischer Arbeit bei den Vätern vom Heiligen Geist seine ewigen Gelübde ab. 1945 rief ihn der Ordensobere nach Frankreich zurück und benannte ihn zum Rektor des Priesterseminars in Mortain. Im September 1947 wurde Pater Marcel Lefebrve zum Bischof geweiht und von Papst Pius XII. zum Apostolischen Gesandten für Französisch-Afrika ernannt. Hier gründete er Diözesen, Seminaren, Konvente und Schulen und wurde im September 1955 erster Erzbischof von Dakar.
Nach der Wahl von Johannes XIII. nahm er seit Juni 1960 an der Vorbereitungskommission des Zweiten Vatikanischen Konzils teil. In diese Zeit fiel seine Ernennung zum Bischof von Tulle, einer kleinen Diözese in Frankreich. Der Aufenthalt hier war jedoch recht kurz. Der Erzbischof spürte bereits den sich immer stärker ausbreitenden Modernismus, der mit der „Öffnung zur Welt“ einherging und augenfällig wurde im Ablegen der Soutane, dem sogenannten „Volksaltar“ und der Feier des Messopfers mit dem Rücken zum Kreuz und zum Tabernakel. Die Messe, an der immer weniger Gläubige teilnahmen, wurde vielfach nicht mehr so würdig gefeiert wie früher, konservative Priester und Bischöfe waren zunehmend entmutigt.
Am 11. Oktober 1962 wurde in Rom das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet. Die von der Vorbereitungskommission ausgearbeiteten Beschlüsse wurden sogleich verworfen und durch neue liberale und modernistische Texte ersetzt. Zwar widersetzte sich eine konservative Gruppe, der „Coetus Internationalis Patrium, die der Erzbischof maßgeblich prägte, dem Einzug liberaler Tendenzen in die Konzilstexte, doch letztlich konnte sie sich nicht gegen die besser organisierte Gruppe der Modernisten, die sogenannte „Rheinische Allianz“, durchsetzen, die die Unterstützung von Johannes XXII. und Paul VI. genossen. Die Progressisten siegten auf ganzer Linie, Erzbischof Lefebvre und die konservative Minderheit, die die Beschlüsse des Konzils zur Religionsfreiheit, zur bischöflichen Kollegialität und dem Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen scharf kritisierte und abgelehnt hatten, zogen den Kürzeren.
Als auch seine Ordensgemeinschaft den „Geist des Konzils“ annehmen sollte, legte er sein Amt als Generaloberer nieder und überlegte sich mit 63 Jahren zurückzuziehen. Als ihn jedoch immer mehr Bitten junger Männer erreichten, die eine traditionelle priesterliche Ausbildung suchten, eröffnete er in der Schweiz ein neues Seminar, zunächst in Fribourg, später dann in Ecône. Am 1. November 1970 unterzeichnete Bischof Charriere das Errichtungsdekret der FSSPX, Kardinal Wright, Präfekt der Kleruskongregation in Rom schickte ein lobendes Ermutigungsschreiben. Im Juni 1971 wies der Erzbischof den neuen Ordo Missae offiziell zurück, wie auch den Tadel der beiden von Rom beauftragten „Visitatoren“, den Msgr. Lefebvre mit seinem „Bischöfliches Manifest“ adäquat beantwortete. In den 1980er und 1990er Jahren rissen die Berufungen aus aller Welt nicht ab. Neue Priesterseminare mußten gegründet werden, beispielsweise in den USA, in Deutschland, in Frankreich, in Argentinien und Australien. Rom reagierte auf die Bischofsweihe der Priester Bernard Tissier de Mallerais, Bernard Fellay, Alfonso de la Galaretta und Richard Williamson durch den Erzbischof mit der Exkommunikation derselben, die jedoch am 7. Juli 2007 von Papst Benedikt XVI. in Zusammenhang mit seinem Motu Proprio „Summorum pontificum“, das erlaubte die lateinische Messe im alten Ritus feiern, wieder aufgehoben wurde. Gleichzeitig stellte Benedikt fest, daß die „alte lateinische Messe“ nie verboten war. Damit befindet sich die FSSPX auch nicht im Schisma mit Rom, wenngleich ihr bis heute kein kanonischer Status zugestanden wird, der es ihr erlauben würde, eine Personalprälatur zu errichten. Natürlich gab es auch etliche Rückschläge, viele Priester verließen die Bruderschaft, um sich tradionalistischen Vereinigungen wie der Priesterbruderschaft St.Petrus, dem Institut St. Philipp Neri oder den Servi Jesu et Mariae anzuschließen, die der Ecclesia Dei-Kommission unterstehen und von Rom kanonisch anerkannt sind. Der Skandal um den englischen Bischof Williamson, der im schwedischen Fernsehen den Holocaust leugnete, erschütterte die FSSPX, die Williamson schließlich wegen Ungehorsam ausschloß. Ein Problem besteht auch mit den Sedisvakantisten, die den Hl. Stuhl nach dem Tod von Papst Pius XII. für nicht besetzt halten und die nachfolgenden Päpste als Häretiker beziehungsweise Apostaten bezeichnen. Zwar hatte auch Erzbischof Lefebvre den Zustand der Sedisvakanz nach dem Zweiten Vaticanum nie völlig ausgeschlossen, letztlich jedoch vor einem solchen Schritt zurückgeschreckt, um den Kontakt zu Rom nicht gänzlich abreißen zu lassen. Tatsächlich ist die Haltung der FSSPX zur Papstfrage in mancherlei Hinsicht widersprüchlich. Man kann wohl nicht einerseits einem Papst den Gehorsam verweigern und ihn dennoch als rechtmäßigen Papst anerkennen, auch wenn er theologisch eine liberale, modernistische Haltung einnimmt und ihm andererseits gehorchen, wenn er sich konservativ beziehungsweise traditionalistisch äußert. Zudem verwendet auch die FSSPX das bereits von Johannes XXIII. geänderte Meßbuch von 1962, in dem einige wichtige Passagen gestrichen wurden.
Dennoch muß man, auch wenn man vielleicht der Priesterbruderschaft St. Pius X. in bestimmten theologischen Fragen durchaus kritisch gegenübersteht, ihr neidlos zugestehen, daß sie „aus Liebe zur Kirche“ – wie der Titel des neuen Interviewbuches mit dem ehemaligen Generaloberen Bischof Fellay lautet –, in ihrem inzwischen über fünf Jahrzehnte währenden Widerstand gegen den geistlosen Modernismus und zeitgeistigen Opportunismus, der auch in die Römisch-Katholischen Kirche eingezogen ist, Großes geleistet hat.
Heute hat die Piusbruderschaft weltweit über 700 Priester, drei Weihbischöfe, zahlreiche Seminare und Schulen, und Berufungen von jungen Männern aus vielen Völkern. Das Werk des Erzbischofs, lebt in der Tat weiter, wenngleich die Probleme mit Rom fortbestehen, und eine offizielle kanonische Anerkennung trotz weiterhin bestehender Kontakte in weiter Ferne zu liegen scheint. Doch wie man als gläubiger Christ weiß, ist bei Gott kein Ding unmöglich. Und so stehen auf dem Grabstein des Erzbischofs auch die Worte: „Traditi quod acecpi“ („Ich habe weitergegeben, was ich empfangen habe“).
Werner Olles, Jahrgang 1942, war bis Anfang der 1980er Jahre in verschiedenen Organisationen der Neuen Linken (SDS, Rote Panther, Jusos) politisch aktiv. Nach grundsätzlichen Differenzen mit der Linken, entschied sich Olles für den konservativen Weg und konvertierte zm traditionalistischen Katholizismus. Sein Beitrag erschien erstmals am 25. März 2021 in der Zeitschrift „Wir selbst“ hier
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- Marcel Lefebvre_Piusbruderschaft: fsspx