Bundesparteitag der AfD in Dresden: Wird es fünf Monate vor der Bundestagswahl friedlich?

Jörg Meuthen, AfD-Bundessprecher und Abgeordneter im EU-Parlament: Michael Kappeler

von ULRIKE FISCHER

DRESDEN – Am kommenden Wochenende trifft sich die AfD zum Bundesparteitag in Dresden. Eigentlich sollte es um Inhalte gehen, doch von echter politischer Kärrnerarbeit ist die zerrissene Partei derzeit mehr denn je entfernt. Der Alltag in den Parteigremien und Fraktionen auf Bundes- und Landesebene wird seit Monaten vor allem durch Personal- und Richtungsstreitigkeiten geprägt. Eine eindeutige Linie in Sachen Corona vermissen die Wähler dagegen seit Beginn der Pandemie.

Grundsätzlich verwundert den politischen Beobachter vor einem Parteitag in einem Superwahljahr wie 2021 ein innerparteilicher Streit um aussichtsreiche Wahlkreise und Listenplätze nicht. Doch in der AfD liegt das Problem tiefer. Bei genauerer Betrachtung wird klar: AfD? – Das sind zwei Parteien in einer. Auf der einen Seite die geschickt agierenden und irgendwie auch DDR-affinen Höcke-Jünger, auf der anderen Seite die zumeist dem alten Westen verbundenen konservativen, aber politisch-taktisch eher ungeschickten Bürgerlichen.

Auf dem Dresdener Parteitag bildet sich diese Konstellation im Streit um die Spitzenpositionen ab. Während der bisherige Fraktionschef und Ehrenvorsitzende Alexander Gauland bereits erklärt hat, endgültig aus der ersten Reihe abtreten zu wollen, hoffen viele andere auf eine Bestätigung oder Erstinthronisation ihrer Person.

In diese Kategorie gehört zum Beispiel Parteichef Jörg Meuthen. Ohne Aussicht auf einen aussichtsreichen Listenplatz oder Wahlkreis für den Bundestag hat er frühzeitig erklärt, unbedingt Europaabgeordneter in Brüssel bleiben zu wollen. Was anderes blieb ihm auch kaum übrig. Zwar gelten die Delegierten des Bundesparteitages mehrheitlich als Meuthen-getreu, dennoch ist eine erneute unangenehme Debatte um den Rückhalt des Parteichefs in den eigenen Reihen auch diesmal nicht auszuschließen. Das würde zwar Meuthen nicht um Amt und Mandat bringen, ihn aber ohne Frage weiter beschädigen.

Ähnlich schwierig ist die Gemengelage um Alice Weidel. Sie ist neben Alexander Gauland Fraktionsvorsitzende im Bundestag und Mitglied des Bundesvorstandes, aber wie Meuthen schwer angeschlagen. Zwar erfreut sich Weidel durchaus großer Beliebtheit an der Parteibasis, aber ihre Verwicklung in eine undurchsichtige Spendenaffäre und ihr schlechter Ruf in der Bundestagfraktion sägen an ihrem Image. Manche munkeln, da komme noch mehr zum Vorschein. Genaueres weiß aber keiner.

Weidel gilt als Passiv-Taktikerin, die lieber schweigt und untätig bleibt, als ihre Meinung zu sagen und aktiv zu werden. Nur um es sich mit niemanden zu verscherzen. Ihre innerparteilichen Gegner übersetzen dieses Verhalten mit „unsicher und faul“ – nicht gerade überzeugende Attribute für eine Führungskraft. Hinter den Kulissen heißt es dementsprechend: Weidel wolle nicht mehr in die erste Reihe und verzichtet auf eine erneute Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl. Am Sonnabend, so ihre Ankündigung in der Wochenzeitung Junge Freiheit, will sie sich selbst dazu erklären.

Ganz anders die Stimmung im Lager von Tino Chrupalla. Der Handwerker aus Sachsen war eng verbandelt mit dem aufgelösten Flügel um Björn Höcke und die Ex-Parteimitglieder Andreas Kalbitz und André Poggenburg. Bis heute hält Chrupalla den Parteirauswurf des rechtsradikalen Kalbitz für einen Fehler. Er selbst will jedenfalls nach ganz oben. Beim Heimspiel in Dresden möchte Chrupalla Spitzenkandidat werden und danach Fraktionsvorsitzender in Berlin. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Offen sind dagegen die Fragen, ob er überhaupt in Dresden gekürt werden kann und wer gegebenenfalls an seiner Seite steht.

AfD-typisch ist auch hier die Gemengelage kompliziert: Zum einen ist auch zwei Tage vor dem Parteitag noch immer nicht klar, ob die Delegierten in Dresden wirklich einen oder mehrere Spitzenkandidaten wählen werden. Das liegt daran, dass zuvor rund 25% der Mitglieder dafür gestimmt hatten, selbigen ganz basisdemokratisch in einer Urwahl zu bestimmen. Eine Initiative übrigens, die auf Parteichef Meuthen zurückgeht. Sein Bundesvorstand widerspricht aber mehrheitlich und will eine Entscheidung an diesem Wochenende. Ausgang des Konflikts: offen!

Und dann wäre da auch noch zu klären, ob es eine Einzel- oder eine Doppelspitze geben soll. Hierzu heißt es aus Parteikreisen, dass nur ein intern zwischen den Lagern abgestimmtes Duo die zerstrittene Partei einen könne. Heißt im Klartext: ein Vertreter des ehemaligen Flügels und einer des bürgerlichen Lagers. Das klingt plausibel, verhindert aber nicht, dass die Spekulationen weiter wild wuchern.

Es ist ein bunter Strauß an Namen, der derzeit neben Chrupalla – der gesetzt scheint – diskutiert wird. Da ist die durchaus aussichtsreiche Rumänien-Deutsche Joana Cotar aus Hessen. Die Bundestagsabgeordnete vertritt den bürgerlichen Teil der AfD, wird aber von Chrupalla als Partnerin bislang strikt abgelehnt. Anders als der politische Ziehsohn von Alexander Gauland hat sie nach der Flucht ihrer Eltern vor der kommunistischen Ceausescu-Diktatur aus Rumänien eine klar westliche Prägung erfahren. Ihre Kandidatur scheint zudem eine echte Initiative aus der Basis der Partei zu sein. Denn dort haben gerade im Westen viele die Nase voll vom Bürgerschreck-Kurs des aufgelösten Flügels.

Chrupalla kann das nicht gefallen. Er wünschte sich laut Insidern aus der Bundestagsfraktion zuletzt die bislang der Parteibasis eher unbekannte Berliner Landtagabgeordnete Kristin Brinker an seiner Seite. Sie konnte erst im März als Kandidatin des ehemaligen Flügels Beatrix von Stoch mit nur einer Stimme Vorsprung in der Stichwahl um den Landesvorsitz ausstechen. Brinker, heißt es aus Parteikreisen, wolle aber nur antreten, wenn man ihr eine 100prozentige Mehrheit garantiere. Das allerdings ist illusorisch, womit die Frage um die Besetzung der Doppelspitze absolut offen bleibt. Der Parteitag – live zu verfolgen bei Phoenix – verspricht spannend zu werden. Vielleicht macht sich ja auch irgendjemand die Mühe, dass Antragsbuch zu lesen.

Bildquelle:

  • AfD-Bundesparteitag: dpa

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