CDU-Politiker sehen in Wahlniederlagen einen „Weckruf“ für die Partei – doch wer ist jetzt wach?

ARCHIV - Anja Karliczek (CDU), Bundesministerin für Bildung und Forschung, hat nach dem Desaster ihrer Partei bei den Landtagswahlen vom Sonntag von der Union einen Schulterschluss verlangt. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Nach dem historischen Wahldebakel in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sucht die CDU nach Wegen aus der Krise.

Sechs Monate vor der Bundestagswahl im Herbst pochte Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) auf mehr Teamgeist und Geschlossenheit gerade im Kampf gegen die Corona-Pandemie. «Alle Entscheidungen sollten möglichst einmütig getroffen werden. Das ist das, was die Bürgerinnen und Bürger in dieser Pandemie-Zeit gerade von der Union erwarten», sagte sie .Der frühere CDU-Umweltminister Norbert Röttgen nannte die Wahlergebnisse einen Weckruf für die gesamte Partei. «Die CDU insgesamt muss gegensteuern», sagte das Präsidiumsmitglied der «Rheinischen Post» (Montag). Unter anderem müsse zügig und verlässlich dargestellt werden, «dass und wie Impfen und Testen Teil unserer Strategie zur Pandemiebekämpfung sind».

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Carsten Linnemann, sagte der «Welt»: «Die CDU muss jetzt endlich beweisen, dass sie Corona-Management kann.»

Bei den Landtagswahlen zum Auftakt des Superwahljahrs hatten sich die Grünen in Baden-Württemberg und die SPD in Rheinland-Pfalz klar als stärkste Kraft behauptet. Die CDU mit ihrem neuen Parteichef Armin Laschet schnitt dagegen jeweils so schlecht ab wie nie. In beiden Ländern könnten SPD, FDP und Grüne nun Ampel-Bündnisse schmieden – und die CDU als je zweitstärkste Kraft außen vor lassen. In der Union wachsen Befürchtungen, dies könne ein Signal auch für den Bund sein.

Nach dem vorläufigen Ergebnis errangen die Grünen in Baden-Württemberg mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann ein bundesweites Rekordergebnis von 32,6 Prozent (2016: 30,3). Die bisher mitregierende CDU stürzte in ihrer einstigen Hochburg auf 24,1 Prozent (27,0). Die SPD landete bei 11 Prozent (12,7), die FDP bei 10,5 (8,3) und die AfD bei 9,7 Prozent (15,1). Die Sitzverteilung: Grüne 58, CDU 42, SPD 19, FDP 18 und AfD 17. Der 72-jährige Kretschmann, seit zehn Jahren erster und einziger Ministerpräsident der Grünen, kündigte an, mit allen Parteien außer der AfD Gespräche über mögliche Bündnisse zu führen.

In Rheinland-Pfalz gewann die SPD mit ihrer populären Regierungschefin Malu Dreyer an der Spitze nach dem vorläufigen Ergebnis 35,7 Prozent der Stimmen (2016: 36,2). Die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Christian Baldauf rutschte dagegen auf 27,7 Prozent (31,8). Es folgten Grüne mit 9,3 Prozent (5,3), AfD mit 8,3 (12,6) und die FDP mit 5,5 Prozent (6,2). Neu in den Landtag einziehen werden die Freien Wähler mit 5,4 Prozent (2,2). Die Sitzverteilung: SPD 39, CDU 31, Grüne 10, AfD 9, FDP 6 und Freie Wähler 6. Damit ist die von Dreyer angestrebte Fortsetzung der Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen machbar. Es ist das einzige derartige Bündnis in Deutschland und nach Dreyers Ansicht ein Modell auch für den Bund.

Was war das Bemerkenswerte am Wahlabend?

Offenes Rennen ums Kanzleramt

Kurz vor dem Ende der Ära Angela Merkel ist es eine schockierende Einsicht für viele in der Union: Nur noch sechs Monate bis zur Bundestagswahl, und das Rennen ums Kanzleramt ist offen. Die CDU landete am Sonntag zwar in beiden Ländern trotz Verlusten auf Platz zwei – Grüne, SPD und FDP können aber Bündnisse ohne sie schmieden. Das geben die Umfragen auf Bundesebene zwar (noch?) nicht her, aber SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wittert Morgenluft und stellt kämpferisch fest, eine Regierungsbildung ohne die CDU sei möglich, «bei der die SPD führen kann und den Kanzler stellen kann». Hinzu kommt: Auch die Grünen könnten im Bund nochmal zulegen, wenn sie ihre möglichen Kanzlerkandidaten, Annalena Baerbock oder Robert Habeck, erst ausgerufen haben und dann geschickt in Szene setzen.

Die CDU muss liefern, vor allem in Puncto K-Frage und C-Frage

Bei der CDU türmen sich zurzeit die Probleme. Geklärt werden muss nicht nur die K-Frage nach der Kanzlerkandidatur der Union, sondern auch die C-Frage nach der angemessenen Corona-Politik, die auch gutwillige Bürger immer öfter mit dem Kopf schütteln lässt. Viel Kritik gab es zuletzt vor allem an den CDU-Bundesministern Jens Spahn und Peter Altmaier wegen schleppender Corona-Impfungen, verschobener Massentestungen sowie verzögerter Nothilfezahlungen an Firmen und Selbstständige. Licht am Ende des Tunnels ist kaum in Sicht, denn die dritte Pandemiewelle baut sich auf, trotz langer Wintermonate im Lockdown. Hinzu kommt die Korruptions- und Lobbyismusaffäre, die aus Sicht der CDU keinen Langzeit-Imageschaden anrichten darf: Mehrere bisherige Bundestagsabgeordnete stehen unter Korruptionsverdacht, weil sie bei Geschäften mit Masken Hunderttausende Euro Provision kassiert haben oder Zuwendungen aus dem autokratischen Aserbaidschan angenommen haben sollen. Bei der ungelösten Machtfrage, wer Kanzlerkandidat wird, wollen der erst seit wenigen Wochen amtierende CDU-Chef Laschet und CSU-Chef Markus Söder nach Ostern entscheiden. Für Laschet könnten die beiden Wahlen eine schwere Bürde bedeuten.

Populäre Amtsinhaber räumen ab

Die Wahlsiege gehen zu einem großen Teil aufs Konto der populären und über Parteigrenzen hinweg beliebten Regierungschefs. Sogar die meisten CDU-Sympathisanten in Baden-Württemberg wünschten sich laut Umfragen vorab, dass Kretschmann weiter Ministerpräsident bleibt – er tritt nun seine dritte Amtszeit an. Ähnlich dominant ist die Rolle Dreyers in Rheinland-Pfalz. Ihr CDU-Herausforderer Baldauf hatte es im Wahlkampf unter Corona-Beschränkungen schwer, gegen sie zu punkten. Dass die Wahlsiege an die Personen gebunden sind, zeigt schon der Blick ins jeweils andere Land: Die SPD in Baden-Württemberg kommt dort nur knapp über 10 Prozent, die Grünen in Rheinland-Pfalz landen trotz starker Zugewinne knapp unter der 10-Prozent-Marke.

Wählen mit dem Virus

Es waren die ersten großen Abstimmungen in Deutschland unter Corona-Bedingungen. Sie liefen anders ab und fühlten sich anders an, als es Bevölkerung und Politiker über Jahrzehnte eingeübt haben. Abstand, Maske, Plexiglas, desinfizierte Kugelschreiber – sehr vieles war ungewohnt. Wegen der latenten Ansteckungsgefahr wählten in beiden Ländern viel mehr als sonst vorab per Briefwahl. Auffällig: Obwohl sich nach einem Jahr Corona-Krise viel Frust in weiten Teilen der Bevölkerung aufgestaut hat, wurden die extremen politischen Ränder nicht gestärkt. Die AfD blieb in beiden Ländern deutlich hinter den Ergebnissen von 2016 zurück, die damals aber auch stark unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise standen. Auch die Linke scheiterte in den beiden westdeutschen Flächenländern erneut.

Bildquelle:

  • Karliczek nach CDU-Wahldesaster: dpa

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