von PROF. DR. WOLFGANG OCKENFELS
Angst sei ein schlechter Ratgeber, heißt es gerade bei denen, die sich von ihr bewegen lassen. Ohne daß sie es zugeben, reagieren die regierenden Parteien schon aus Angst vor eigenem Machtverlust auf grassierende „Ängste“ in der Bevölkerung – und verheißen mehr Sicherheit. Die Politik verspricht mehr Polizei und Militär, um den wachsenden Gefahren zu begegnen, die durch Kriminali-
tät, Terror und Krieg drohen. Und sie wird in den nächsten Monaten vor den Wahlen 2017 auch das Thema der sozialen Sicherheit
forcieren. Denn die anfänglich sowohl humanitär wie auch ökonomisch begrüßte Welle von einwandernden Flüchtlingen und flüchtigen Einwanderern, die uns „lieb und teuer“ sein sollten, ist vor allem überaus teuer und erzeugt soziale Verteilungskonflikte, von deren Schärfe sich die wohlstandssaturierten christlichen Kirchen hierzulande keine Vorstellung machen können.
Hier erteilt die Angst gewiß keinen schlechten Rat. Denn die Gefahren sind ja nicht bloß eingebildet oder gefühlt, sondern real. Und sie lassen sich nicht durch „postfaktische“ Beschwörungen und Vorspiegelungen einer heilen Welt überwinden. Natürlich fragen christliche Realisten – nicht erst seit Thomas von Aquin– nach einem fundamentum in re, also nach der Grundlage in der Sache selbst, und nach der objektiven Wirklichkeit: Gibt es tatsächliche Gefahren und faktische Bedrohungen? Erst daraus ergibt sich die Antwort auf die Frage, ob die „Ängste“ berechtigt sind oder nicht. Und welche Sicherheitsmaßnahmen zur Gefahrenabwendung geboten sind.
Freilich läßt sich am Beispiel politischer Bewegunen und Parteien (nicht nur der Grünen) darlegen, wie schnell sich Gefühle der Angst („Waldsterben“, „Ozonloch“) erzeugen lassen und die Bedürfnisse nach Sicherheit („Energiewende“, „Atomausstieg“) partei- und machtpolitisch ausgebeutet werden. Und wie leicht auch wissenschaftliche Faktenchecks in den Dienst ideologischer Absichten gestellt werden können. Das unterhöhlt das Vertrauen in die Produzenten der öffentlichen Meinung. Sogar und besonders den wissenschaftlichen Experten begegnet man zunehmend skeptisch. Ihnen und den Politikern schlägt ein Mißtrauen entgegen, das sich nicht mehr durch gutes „postfaktisches“ Zureden besänftigen läßt.
Es bleibt dabei: Angst gehört zur Grundbefindlichkeit des Menschen, und sein Sicherheitsbedürfnis ist elementar und legitim, wenn es um Leib und Leben geht: primum vivere deinde philosophari. Das soll auch für Christen gelten – gegenüber akademischen Theologen, die nicht selten einen Glauben reflektieren, den sie längst verloren haben. „Ein feste Burg ist unser Gott“ heißt es bei Martin Luther. Auch wenn die Verheißung des ewigen Heils keine absolute Heilssicherheit garantiert. In einem anderen alten Kirchenlied heißt es: „Weck‘ die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit“. Es gehört zu jenen Erweckungsliedern, die vor dem Einlullen in vorgetäuschte Sicherheiten der religiösen, aber auch der politischen Art warnen. Zwischen Angst und Sicherheit wechseln die Tonlagen von Gefühlen, die politisch-religiös ausge beutet werden.
Im Unterschied zu Jürgen Habermas ist Angela Merkel „religiös musikalisch“. Dabei bedient sie sich nicht einer komplexen Klaviatur, sondern der einfachen Blockflöte. Als „Mutti“ der Nation – nicht nur der CDU – verbreitet sie gläubige Zuversicht, aber auch ständige Besorgnis. Auf harte Realitäten, auf das fundamentum in re kommt es dabei nicht an. Es sei denn, wenn es um den politischen Machterhalt geht. Dann gilt es, sogar Realitäten wahrzunehmen, die man vorher verleugnet, verdrängt und bekämpft hat, etwa die flüchtlingspolitischen Forderungen der AfD und neuerdings von Donald Trump.
Daß die Merkel-Politik dabei ihren eigenen Ersatz zu beerben versucht, fällt kaum auf, weil das Publikum ein kurzes Gedächtnis hat und Alzheimer auch eine politische Krankheit ist. Eine eigene Begründung aus dem Geist des Naturrechts und der Christlichen Demokratie findet nicht statt, stattdessen werden wieder Gefühle mobilisiert.
Um die „Sorgen vor dem Islam“ durch die „Pflege christlicher Traditionen zubegegnen“, lieferte Frau Merkel auf dem Sonderparteitag der CDU in Mecklenburg-Vorpommern am 22.Oktober 2016 eine geistige Selbstentblößung, die an Lächerlichkeit kaum zu überbieten ist und deshalb wörtlich festgehalten zu werden verdient, weil sie auch für den Geisteszustand weit er Teile der CDU typisch ist:
„Aber wir sind die Partei mit dem C im Namen. Habenmwir eigentlich noch Selbstbewußtsein? Man muß ja nun wirklich nicht irgendwo hingehen von AfD bis Pegida, um Weihnachtslieder, christliche, singen zu dürfen. Aber wieviele von uns tun denn das noch auf ihren Weihnachtsfeiern in den Kreisverbänden? Und wo läuft da irgendwo so’n Tamtamtam und ‚Schnee glöckchen weiß Röckchen‘ oder was weiß ich, na ja, es ist auch, nein, aber ich meine, wieviel christliche Weihnachtslieder kennen wir denn noch? Und wieviel bringen wir denn noch unseren Kindern und Enkeln bei? Und dann muß man eben mal n’paar Liederzettel kopieren und einen, der noch Blockflöte spielen kann oder so, mal bitten – ja ich meine das ganz ehrlich, sonst geht uns ein Stück Heimat verloren.“
Kommentar überflüssig. Das stärkste, was man gegen sie und andere Blockflöten ins Feld führen kann, sind ihre eigenen Worte. Keine Angst vor Angie also, liebe CDU, der ich seit fünfzig Jahren mit wachsendem Unbehagen angehöre. Dieschlotternde Angst vor Angela Merkel, die in großen Teilen der CDU immer noch hysterisch beklatscht wird, ist völlig unangem essen. Mit Sicherheit wird
man bei ihrem Abschied etwa folgende Worte zu hören bekommen: „Die Menschen da draußen im Lande haben die Realitäten, die ich selber geschaffen habe, letztendlich nicht anerkannt. Dabei ging es mir doch nur um die Lebenswirklichkeit, darum, diese Realität zu respektieren, zu akzeptieren und auch umzusetzen. Die Kritik an mir war Wasser auf die Mühlen der Rechten, das hat dem Populis- mus Nahrung gegeben. Das habe ich nicht gewollt. Und es war nicht hilfreich.“
Vorsichtshalber habe ich den Anwalt Gregor Gysi gebeten, für mich Schmerzensgeld oder Schadensersatz bei der CDU einzuklagen. Fortsetzung folgt.
Dieser Beitrag von Prof. Dr. Wolfgasng Ockenfels erschien vor wenigen Tagen bereits in der Zeitschrift „Die neue Ordnung“.
Bildquelle:
- Blockflöte: pixabay