BERLIN/KIEW – Die Deutsche Schule in Kiew ist wegen des Ukraine-Krieges verwaist – doch der Unterricht geht weiter. «Alles ist online», sagte Schulleiter Gerald Miebs. «Unterricht findet tatsächlich statt, jede Menge sogar.»
Etwa die Hälfte der Schülerinnen und Schüler werde noch online beschult. «Ein Teil davon sind in den Karpaten oder in der Westukraine, viele sind in anderen Ländern und viele sind in Deutschland und hoffen, wieder zurückkommen zu können.» Die Schule hat etwa 180 Schülerinnen und Schüler sowie 50 Kinder im Kindergarten.
Nicht alle Lehrkräfte können wegen des Krieges online mitmachen. «Die deutschen Lehrer machen den Online-Unterricht von Deutschland aus», sagte Miebs. «Von den ukrainischen Lehrern sind auch viele in Deutschland, die machen ebenfalls Online-Unterricht.» Manche Lehrer unterrichten sogar aus der Westukraine. «Aber alle anderen können nicht Unterricht machen, weil sie die technischen Voraussetzungen nicht haben oder zum Teil auch schlichtweg in Kellern sitzen oder in Bunkern sitzen und natürlich keine Online-Verbindung haben.»
Die Schule hat einen Teil ihres Angebots nach Angaben ihres Leiters sogar erweitert. In der Grundschule seien die Klassen 1a und 1b zusammengelegt und der Unterricht sei auf die Nachmittagsbetreuung erweitert worden, sagte Miebs. In den Klassen 5 bis 12 gebe es Online-Unterricht nach Stundenplan. «Es nehmen natürlich der Situation geschuldet nicht alle Schüler unserer Schule teil, denn viele sind ausgewandert oder haben sich in Schulen in Deutschland angemeldet.» In der Schule gebe es nur Wächter, sonst sei niemand vor Ort. Die zur Sicherheit eingelagerte Notausrüstung mit Wasser, Decken und Trockennahrung sei an eine Kirche gespendet worden.
Der Leiter hofft darauf, dass die Schule nach dem Ende des Krieges wieder weitermachen kann. «Die Schule, die wird unter den Voraussetzungen, dass dann Frieden herrscht und es keinen Krieg gibt, wieder weitermachen», sagte Miebs. «Ich kriege das von meinen Familien mit, die sagen: „Wenn das zu Ende ist, kommen wir wieder zurück.“ Die lieben ihr Land, die wünschen sich nichts sehnlicher als zurückzukommen. Ich weiß auch von meinen Kolleginnen und Kollegen, dass die bereit sind, wieder zurückzugehen.» Die ganze Entwicklung habe die Schule aber um mehrere Jahre zurückgeworfen. «Das wird alles sehr viel Aufbauarbeit brauchen», sagte er. «Aber der Wille ist da.»
In diesem Jahr hatte die Schule die ersten Abiturienten, die die ganze Schulzeit dort waren. «Die haben ihre schriftlichen Prüfungen alle abgelegt und zwischen dem schriftlichen und dem mündlichen Abitur ist eben jetzt der Krieg ausgebrochen», sagte der Leiter. Dank der Hilfe der Kultusministerkonferenz (KMK) sei eine Lösung gefunden worden, dass sie trotzdem ihr Abitur zuerkannt bekämen mit den Noten, die vorliegen. «Die Schüler sind zum Teil im Kindergarten bei uns gewesen und haben 13 Jahre auf das Abitur hingebaut und dann drei Wochen vorher zu sagen, es gibt kein Abitur, das ist natürlich nicht möglich.»
Der 66-jährige Schulleiter, der eine neunte Klasse in Philosophie/Ethik und eine zehnte Klasse in Deutsch unterrichtet, lebt derzeit in Berlin. Ihn erreichte die Nachricht, dass alle deutschen Mitarbeiter die Ukraine verlassen müssen, am Freitag vor Ausbruch des Krieges. «Die Situation für meine Schule war so, dass wir an dem Freitag in Winterferien gegangen sind», sagte Miebs. «Glücklicherweise sind viele von unseren Kolleginnen und Kollegen ohnedies nach Deutschland gefahren.» Miebs nahm vor wenigen Tagen an einer Podiumsdiskussion am Marie-Curie-Gymnasium in Hohen Neuendorf in Brandenburg teil.
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- Schulleiter Gerald Miebs: dpa