von PETER JOECKEN
BERLIN – Die Bundeswehr zieht ab Juli seine 1.000 Soldaten aus dem Hindukusch ab. Weil auch die US-Amerikaner das Krisengebiet verlassen und es bei allen anderen Nationen, die „versucht“ haben, Afghanistan zu demokratisieren und zu modernisieren, ebenfalls zum Rückzug kommt, kehrt das Land wieder in seine mittelalterliche Kultur zurück.
So jedenfalls meine Prognose.
Die radikal islamischen Kräfte der Region liegen schon auf der Lauer. Es wird zu einem Säuberungsprozess kommen, der jeden Afghanen und seine Familie, der den pro-westlichen Truppen Hilfe und Unterstützung gegeben hat, in Gefahr um Leib und Leben bringt. Die Taliban haben ihre „Todeslisten“ schon geschrieben. Egal, ob als Küchenhilfe, ob als Dolmetscher, Scout, Fahrer oder Koch. Die Taliban werden keine Gefangenen unter den „Verrätern“ machen. Sie werden die Familien nicht verschonen. Und sie werden nicht nur darauf achten, wer aktuell und bis heute für die „Invasoren“ gearbeitet hat, sondern es wird auf Jahre hinweg zurückgeblickt.
Auge um Auge. Zahn um Zahn.
Die Angst geht um in Afghanistan. Die Nato-Mission ist auf erbärmliche Weise gescheitert, denn seit Jahren verhandeln die USA vergebens mit den Taliban über einen Frieden. Nach offizieller Lesart sollen die Taliban nun mit der von der Nato eingesetzten Regierung über die Zukunft des Landes verhandeln, aber niemand glaubt daran, denn die Regierung und die Taliban führen immer noch erbittert Krieg gegeneinander.
Stattdessen wird es so kommen, dass die Taliban die Regierung besiegen, die sich seit 20 Jahren nur deshalb halten kann, weil sie von der Nato unterstützt wird. Ohne die Nato werden die Taliban schnell wieder die Macht in Afghanistan übernehmen. Die Nato ist krachend gescheitert.
Was nun geschieht, sind nur noch Fluchtbewegungen. Afghanistan wird wieder sich selbst überlassen. Die Macht des Bösen hat sich durchgesetzt und wartet nun nur darauf, Jene aufzuspüren und zur Verantwortung zu ziehen, die in ihren Augen mit den „westlichen Invasoren“ zusammengearbeitet haben. Im zweiten Weltkrieg nannte man das Kollaboration.
Wer damals als Kollaborateur identifiziert wurde, dem geschah allzu oft Fürchterliches. Zu Hunderten wurden die Sympathisanten der deutschen Besatzer gefoltert und getötet. Es kam zu unvorstellbaren Übergriffen auch gegenüber den Familien der „Kollaborateure“.
Aus dieser Vergangenheit sollten wir gelernt haben.
Umso mehr, weil die zu erwartende „Säuberungswelle“ der Taliban mit Sicherheit nicht ohne eine unkontrollierte Brutalität und Gewalt ähnlich wie nach dem zweiten Weltkrieg verlaufen wird. Die Menschen, die den Nato-Truppen für wenig Geld und trotzdem loyal wertvolle Hilfe leisteten, fürchten sich nun und befinden sich zum Teil bereits auf der Flucht.
Dabei steht außer Frage, dass die abziehenden Nationen für diese Menschen in besonderer Verantwortung sind. Der Abzug kommt jetzt nicht so überraschend schnell, als dass man bei gutem Willen nicht an die Konsequenzen für diese Menschen und ihre Familien bedenken sollte.
Schon bei den Teilabzügen der NATO-Truppen 2014 wurde das Problem des Schutzes ehemaliger Helfer in Diensten der Bundeswehr bekannt. Vollmundigen Verspechen aus politischer Ebene, zu den Schutzzusagen zu stehen und „schnell und unbürokratisch“ zu helfen, sind bis heute Makulatur geblieben. Es wird nicht oder nur untergeordnet an diese Menschen gedacht.
Die Zahl der verschleppten und getöteten Helfer der Bundeswehr ist nicht bekannt. Unstreitig aber ist es, dass es eine beachtliche Dunkelziffer dazu gibt.
„Wir kümmern uns“
So die erneute Bekräftigung aus dem Verteidigungsministerium. Keiner der Dolmetscher, Handwerker oder Fahrer, die die Arbeit der Deutschen in Afghanistan oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens erst möglich gemacht haben, sollen zurückbleiben müssen und der Rache der Taliban überlassen werden. Mit Blick auf den nun überstürzten Abzug bis Anfang Juli hatte die Verteidigungsministerin ausdrücklich erklärt, dass sie es als „eine tiefe Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland empfindet, diese Menschen jetzt, wo wir das Land endgültig verlassen, nicht schutzlos zurückzulassen.“ In dieser Aussage klaffen Anspruch und Wirklichkeit sehr weit auseinander.
Hohe bürokratische Hürden warten auf den Schutzsuchenden. Es gibt keinen Schutz für die, die in der Vergangenheit für die Bundeswehr gearbeitet haben. Es soll nur Schutz für die geben, die aktuell als Unterstützer tätig sind. Niemand weiß, wie viele dieser Menschen bereits ihr Leben durch die Taliban verloren haben. Der Nachweis einer realen Bedrohungslage ist Voraussetzung für die Übersiedlung nach Deutschland. Alleine das ist für mich eine Farce. Die bekannte Brutalität der Talibanherrschaft ist bekannt. Wie soll da ein Nachweis der Bedrohungslage aussehen?
Ich empfinde es als eine riesengroße Schweinerei, die da abläuft. Wenn jemand es verdient hat, von Deutschland in besonderer Weise geschützt zu werden, dann sind es all diese Menschen. Sie nun der Brutalität der Folter- und Tötungsmaschinerie der Taliban zu überlassen, ist für mich unfassbar.
Ich trenne klar zwischen der Verantwortung der Bundeswehr, also der Soldaten und Offiziere, die „vor Ort“ die Unterstützung der afghanischen Hilfskräfte benötigten und auch bekommen haben und der politischen Verantwortung, die beim Verteidigungsministerium liegt. Eindeutig. Und der sie nur schleppend und mit der gewohnten deutschen Bürokratur nachkommt.
Die Soldaten bekommen das mit. Sie haben die Helfer aus Afghanistan zu schätzen gelernt, es sind persönliche Beziehungen entstanden, und die geleisteten Dienste sind und waren oft sehr wertvoll.
Sie wurden, so muss man ja heute schlussfolgern, letztlich zum Schutz Deutschlands, dessen Verteidigung ja „am Hindukusch beginnt“ eingesetzt und haben, O-Ton aus oberen Bundeswehrkreisen, „sich in besonderer Weise um Deutschland verdient gemacht“. Was für ein Hohn…
„Wir kümmern uns“
Sie haben sich für unser Land eingesetzt, für uns gearbeitet und sich in Lebensgefahr begeben. Und nun werden sie im Stich gelassen. Den Taliban ausgeliefert.
Anstatt, dass aus dem Bundesverteidigungsministerium mit Entschlossenheit und Tatkraft die Umsiedlung der afghanischen Helfer Deutschlands angeordnet und durchgeführt wird, wird, typisch deutsch, formalisiert und bürokratisiert.
Es ist leichter, für einen „Schutzsuchenden“, der in Deutschland angekommen ist, mit weniger Worten und noch weniger Amtsunterlagen wie Pass oder Geburtsurkunde, einen Schutzstatus in Deutschland zu bekommen, als für die, die unserem Land nachweislich und unter Gefahr für das eigene Leben, geholfen und letztlich auch gedient haben.
Das wäre unter Helmut Schmidt als Verteidigungsminister niemals passiert. Der Dank des Vaterlandes ist dir gewiss. Oder eben auch nicht. Wo ist der Dank Deutschlands für diese Menschen? Was sind das für moralische Abgründe?
Ich kann es nicht verstehen.
Bildquelle:
- Afghanistan: dpa