Die Revolution frisst ihre Kinder – Wenn Atheisten religiös werden

von LUKAS MIHR

Nun trifft es auch ihn. Richard Dawkins, ehemals „Chef-Atheist“, ist in Ungnade gefallen. Die American Humanist Association, eine religionskritische Vereinigung, entzog ihm die Auszeichung „Humanist des Jahres“, die er 1996 erhalten hatte. Zwar seien seine Verdienste unumstritten, doch habe er sich in den letzten Jahren unter „wissenschaftlichem Deckmantel transphob“ geäußert.

Sein Vergehen? Er hatte darauf hingewiesen, dass transsexuelle Personen ihre chromosomale Geschlechtsidentität nicht ändern könnten. Als Evolutionsbiologe wird Dawkins auch kaum zu einem anderen Schluss kommen. Aus „Höflichkeit“ spreche er transsexuelle Personen aber mit ihrem bevorzugten Pronomen an. Das reicht in der heutigen Zeit nicht mehr. Transsexuelle Männer sollen eben nicht aus Höflichkeit als Frauen angesehen werden, sondern weil sie Frauen sind. Auch wurde Dawkins süffisante Frage, ob Weiße sich nicht ebenso als Schwarze identifizieren könnten, als rassistischer Angriff auf die schwarze Identität gewertet.

Die Vorgänge zeigen, dass niemand mehr sicher ist. Wenn Atheisten ihren einstigen „Papst“ stürzen, wird irgendwann jeder gesellschaftliche Bereich politkorrekt gesäubert sein. Dawkins hatte in den 2000ern den Begriff „Neuen Atheismus“ populär gemacht, der aber in den Augen des „neuen Neuen Atheismus“ nur eine Versammlung alter, weißer, heterosexueller Männer ist.

Ich weiß wovon ich spreche, schließlich gehörte ich doch selbst den „Neuen Atheisten“ in Deutschland an, bis man mir zu verstehen gab, nicht mehr an einer Zusammenarbeit interessiert zu sein. Ich hatte mich dem Linkskurs eben nicht unterordnen wollen und zog dann die Konsequenzen.

Umso verwirrter blicke ich nun auf eine veränderte Welt, in der Atheisten religiöser als Christen sein können. Die Republikaner in den USA, die ernsthaft darauf pochen, die christliche Schöpfungslehre anstatt der Evolutionstheorie in den Schulen zu unterrichten, kann ich eigentlich nicht erstnehmen. In der Transgender-Debatte vertreten sie allerdings den rationalen Standpunkt, während die Humanisten inzwischen die fundamentalistischen Wissenschaftsverleugner sind. Die American Humanist Association kritisierte jüngst die Pläne der Republikaner, transsexuelle Männer von weiblichen Sportwettbewerben auszuschließen, da sie dort einen unfairen körperlichen Vorteil besäßen.

Ähnliche Entwicklungen sehe ich auch beim humanistischen Pressedienst, wo ich meine ersten journalistischen Gehversuche unternahm. Dort liest man immer häufiger die genderneutrale Schreibweise. Und manche Beiträge sind gänzlich unterirdisch: Die islamischen Terrorattacken in Nigeria seien auf den Klimawandel zurückzuführen und hinter dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz stecke Lutz Bachmann, der den Vorfall den Flüchtlingen die Schuhe schieben wolle.

Bislang waren Humanisten in Deutschland trotz ihrer Linkslastigkeit dem Islam kritisch gegenüber eingestellt – auch wenn sie meist die höheren islamischen Geburtenraten aus Furcht vor Rassismus nicht thematisieren wollten. Wenn es zum Dauerzustand wird dass die deutschen Atheisten aus Angst vor der AfD und der globalen Erwärmung islamische Terroranschläge verharmlosen, machen sie sich überflüssig.

Dass ich mal für einen bösen, christlichen Konservativen wie Klaus Kelle schreiben würde, hätte ich früher nie gedacht. Auch heute noch haben wir in manchen Punkten Differenzen, in anderen stimmen wir jedoch überein. Die Antifa lehnen wir beide gleichermaßen ab. Dass viele der linken Straßenkämpfer ebenfalls Atheisten sind, lässt sie mir nicht sympathischer erscheinen.

Ich selbst kann mit Religion immer noch nichts anfangen, begegne dem einzelnen Religiösen nun aber deutlich entspannter. Auch viele Ziele der Humanisten halte ich nach wie vor für erstrebenswert. Beiden Amtskirchen stehen in Deutschland viele unberechtigte Privilegien, darunter auch finanzielle Zuwendungen, zu. Eine konsequente Trennung von Kirche und Staat ist immer noch notwendig. Ich rechne ihr allerdings nicht mehr die oberste Priorität zu. Andere Probleme sind weit dringender geworden.

Vermutlich um 2030 werden die Deutschen mehrheitlich keiner Religionsgemeinschaft mehr angehören. Ich könnte mich darüber freuen, doch tatsächlich bedeutet der Rückgang des Christentums nicht, dass das religiöse Denken an sich verschwindet.

Mittlerweile nimmt der Antirassismus fundamentalistische Züge an. Schwerverbrecher wie George Floyd sind Märtyrer, „White privilege“ die neue Erbsünde und Donald Trump ist der Teufel.

In meiner atheistischen Phase entgegneten mir Christen in Debatten oft, dass dem Menschen ein Bedürfnis nach Religion innewohne. Ich hielt dies für absurd, denn schließlich war ich Atheist und mir mangelte es an nichts.

Heute weiß ich, dass sie Recht hatten.

Bildquelle:

  • Kerzenlicht_Kirche: pixabay

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