Ex-BND-Chef Gerhard Schindler: Deutschland braucht einen Nationalen Sicherheitsrat

von LUKAS MIHR

ESSEN – Auf dem Feld der Sicherheitspolitik konnte die SchwarmintelligenzKonferenz am Wochenende Gerhard Schindler als Redner gewinnen. Der frühere BND-Chef blickt auf eine beeindruckende Karriere zurück. So war er lange Jahre im Bundesministerium des Inneren Leiter der Abteilung für öffentliche Sicherheit und damit auch für Terrorismus zuständig. Unter anderem beauchsichtigte er auch das BKA und den Verfassungschutz. Dann war Schindler von 2012 bis 2016 – in sehr bewegten Zeiten! – Präsident des Bundesnachrichtendienstes.

In seinem Vortrag verwies er auf das berühmte „Ende der Geschichte“ des Politologen Franics Fukuyama, der nach dem Zusammenbruch des Kommunismus eine Periode des Wohlstands und der Sicherheit vorausgesagt hatte. Bekanntermaßen kam es anders. Zwar sei nach wie vor nicht klar, was die größere Gefahr für den Weltfrieden darstelle – die sich tatsächlich ereignenden Terroranschläge oder der potentielle Atomkrieg in der Kubakrise 1962 – doch zeige sich deutlich, dass die Zahl neuer Krisen zunehme, während die alten Krisen keine Lösung erfahren.

Vor allem im arabischen „Krisenbogen“ seien die Verhältnisse unübersichtlich. Viele der dortigen Konflikte hätten mehrere Akteure gleichzeitg, die Grenzen vom Staaten- zum Bürgerkrieg verlaufen zunehmend fließend. Vor allem der Abstieg der USA und der Aufstieg Chinas und Russland verkomplizierten die Lage. Das westliche Modell des Demokratieexports sei offensichtlich gescheitert.

Schindler sah drei Themenfelder als elementar an:

1. Den Vormarsch nationalistischer Kräfte, die sich als Gegenmodell zum „dekadenten Westen“ verstehen, vor allem in China, Indien, Russland und der Türkei. Derartige Expansionsbestrebungen sehe man vor allem in der Ostukraine oder im Südchinesischen Meer.

2. Der internationale Terrorismus, der nach Schindlers Einschätzung nicht mehr zu besiegen sei. Auch die militärische Zerschlagung des Islamischen Staates (IS) könne das zugrundeliegende Problem nicht lösen. Mittlerweile habe sich ein „Franchise-Terrorismus“ etabliert. Auch Einzeltäter könnten die Fahne aufnehmen und sich jederzeit als legitime Nachfolger betrachten.

3. Der Cyberterrorismus. Täglich würden Hackerangriffe auf die Bundesministerien registriert. Durch Industriespionage und Viren entstünde Deutschland ein jährlicher Schaden von 100 Milliarden Euro. Federführend seien hierbei vor allem China, Russland, der Iran und Nordkorea. Auch weitere Staaten, die heute keine militärische Bedrohung darstellten, könnten durch Hackerangriffe in der Zukunft gefährlich werden. Hacker statt Panzer!

Als Reaktion auf die genannten Bedrohungen forderte Schindler eine „Gesamtrevision der deutschen Sicherheitsarchitektur“. Das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) sei ein Bürokratiemonster, da es 40 unabhängie Bundes- und Landesbehörden bündele, ohne dass die Kompetenzen klar definiert wurden. In diesem Chaos konnte auch ein Attentäter wie Anis Amri, der 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz 16 Menschen tötete, dem Zugriff der Sicherheitsdienste entgehen. Stattdessen solle ein Nationaler Sicherheitsrat etabliert werden.

Gleichzeitig müsse die Debatte um den Nachrichtendienst ehrlich geführt werden. Völlig sauber könne dieser niemals sein und auch Zielvorstellungen müssten klarer kommuniziert werden. Da die Bundeswehr ohne klares Ziel in Afghanistan einmarschierte, sei umgekehrt keine Exit-Strategie entwickelt worden. Es stehe jedenfalls fest, so die Abwandlung eines berühmten Zitats, dass die Sicherheit Deutschlands eben nicht am Hindukusch verteidigt wurde.

In der Debatte mit dem Publikum wurden weitere Schwierigkeiten offenbar. Als Auslandsgeheimdienst hat der Bundesnachrichtendienst keine Befugnis zur Überwachung deutscher Staatsbürger. Ein Telefonat zwischen Berlin und Rakka (der Hauptstadt des IS) dürfe daher nicht abgehört werden. Die deutschen Behörden sind daher auf die Zusammenarbeit mit befreundeten Geheimdiensten, wie beispielsweise der CIA angewiesen, die rechtzeitig Informationen weitergeben. Dies klappt manchmal, aber nicht immer.

Ein Raunen ging durchs Publikum, als Schindler auf die Deutschtürken zu sprechen kam. Eine Assimilation, also die Aufgabe ihrer Kultur sei schwer denkbar, ebenso wenig wie deren Ausweisung. Man müsse daher also darauf setzen, dass die Deutschtürken sich in Deutschland heimisch fühlten. Er verwies auf seine Abstammung als Siebenbürger Sachse. Der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien seien der Erhalt ihrer Kultur versprochen worden, was sie umgekehrt zu loyalen Staatsbürgern machte. Auch der heutige Präsident Rumäniens, Klaus Johannis, ist bekanntermaßen Deutscher.

In diesem Punkt wollten viele Gäste Schindlers Ausführungen nicht mehr folgen, der aber selbstbewusst erklärte, bei diesem Thema keinen Streit aus dem Wege gehen zu wollen.

Bildquelle:

  • Gerhard_Schindler_Schwarm: alexander hein

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