Für die bürgerliche Tugenden: Ein bisschen Stil, ein wenig Eleganz, gutes Benehmen und Höflichkeit wären schön

Liebe Leserinnen und Leser,

der „Frühe Vogel“ vorgestern über die zunehmende Zahl an asozialen Menschen in Deutschland gehört zu den meistgelesenen Artikeln überhaupt, seit TheGermanZ gestartet ist. Dabei ist er eigentlich so ähnlich, wie jeder Text an dieser Stelle, aber das Thema scheint Sie zu elektrisieren. Warum verhalten sich immer mehr Menschen asozial? Und vor allem: Was macht man mit denen? Einfach machen lassen? In einer freien Gesellschaft muss man mit überquellenden Mülltonnen, vollgeschmierten Hauswänden und leeren Bierflaschen leben, die in der U-Bahn den Gang rauf- und runterrollen? Eine libertäre Freundin, deren Meinung mir wirklich wichtig ist, findet das ok. Machen wir den Leuten ein Angebot, wenn sie es nicht annehmen wollen, dann bleiben sie halt asozial. Und die, die sozial sind, gucken dann halt weg und widmen sich dem Rasenmähen oder sowas.

Ein Leser, ich kenne ihn auch persönlich, schrieb mir gestern, dass Psychologen über die „Ausbreitung der Subkultur“ in unseren Gesellschaften veröffentlicht haben. „Ich glaube, es hat etwas mit Wohlstand, mit Dekadenz, mit der Abkehr von bürgerlichen Tugenden zu tun.“ Und mit Höflichkeit und anständigem Benehmen.

Das beginnt schon bei den Höflichkeitssitten, wenngleich Corona da eine erhebliche Bremse ist. Hand geben in Zeiten der Pandemie – ein No Go für die Meisten. Ich bin berufsbedingt immer wieder bei schönen Abendessen, und ich mag das, wenngleich ich mich eben auch sehr darum bemühen muss, dass mein Waschbrettbauch dadurch nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. Aber so die einstigen Selbstverständlichkeiten wie: Einer Dame in den Mantel helfen, die Tür aufhalten oder – für Profis – wenn eine Frau am Tisch aufsteht, um zum Beispiel für kleine Mädchen zu gehen, dann als Mann automatisch auch aufzustehen, vielleicht sogar gleichzeitig das Jackett zuzuknöpfen. Sowas sieht man heutzutage höchstens noch in James Bond-Filmen, aber ganz gewiss nicht in einem normalen deutschen Restaurant. Ach Restaurant, was rede ich? Immer mehr bürgerliche Lokale schließen, während Dönerbuden und Chinesen und Vietnamesen die Lücke füllen. Hey, Marktwirtschaft, der Kunde entscheidet.

Und dann die Kleidung überall, casual ist angesagt. Festliche Anlässe gibt es immer weniger, Bälle, Galas, vielleicht ein paar Abende im Jahr für die Happy Few. Selbst bei Hochzeiten kommen viele in Jeans mit offenem weißen Hemd und einer geliehenen Jacke von Onkel Walter. Aber chick machen, ausgehfein losziehen, eine Fliege umbinden, Smoking? Fehlanzeige. Wo gibt es das heute noch?

Von gepflegten Vorgärten und gefegten Bürgersteigen oder sogenannten Graffitys an Hauswänden fange ich gar nicht an.

Ich bin sicher kein Spießer, wie Sie hoffentlich bereits gemerkt haben. Und ich will auch nicht die 60er Jahre zurückhaben, will keine Blockwarte und niemanden, der mir vorschreibt, was ich anziehen soll, wenn ich einen Geschäftstermin wahrnehme. Wird es ein guter Deal, dann ist mir egal, ob mein gegenüber Cowboyschuhe trägt und ein Mickey-Mouse-Shirt. Aber ein bisschen Stil, ein wenig Eleganz, gutes Benehmen und Höflichkeit – das würde ich mir wünschen.

Und, weil alles mit allem zusammenhängt, möchte ich an Siegmund Freud erinnern, der mal sinngemäß sagte: „Der Verlust der Scham ist ein sicheres Zeichen für beginnenden Schwachsinn.“ Gefällt mir, diese Aussage. Der Verlust des Sozialverhaltens und des Anstandes, des gepflegten Auftretens und der Höflichkeit ist nicht besser.

Mit herzichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.