Koalitions-Poker in den Niederlanden findet kein Ende

Mitte März haben die Niederländer gewählt - eine neue Regierung haben sie immer noch nicht. Foto: Daniel Reinhardt

Fast sieben Monate nach der Wahl am 15. März haben sie noch immer keine neue Regierung. Vier Parteien verhandeln in Den Haag. Sie werden am kommenden Montag den bisherigen Rekord von 208 Tagen aus dem Jahre 1977 einstellen.

Dem alten und wohl auch neuen Premier, Mark Rutte, ist das Lachen immer noch nicht vergangen. Ob er einen Tipp hat für seine Kollegin in Berlin, Bundeskanzlerin Angela Merkel? «Die braucht keinen Rat», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Den Haag. «Das kann sie ganz allein.» Rutte lacht, winkt und schreitet zügig über den Binnenhof. Das einstige Schloss der holländischen Grafen ist das Herz der Demokratie des Landes.

Rutte steht mit seiner rechtsliberalen VVD vor seiner dritten Amtsperiode. Nur diesmal ist es nicht so einfach, eine Koalition zu schmieden. Eingeweihte schätzen, dass sich die neue Ministerriege frühestens Ende Oktober mit König Willem-Alexander zum traditionellen Gruppenfoto vor dem Palast präsentieren wird.

Lange Verhandlungen gehören eigentlich zur politischen Kultur des Landes, das immer von Koalitionen regiert wird. Im Schnitt dauert so eine «formatie» (Regierungsbildung) 87 Tage. Doch diesmal ist alles komplizierter.

13 Parteien zogen nach der Wahl im März in die Zweite Kammer ein. Die VVD von Rutte wurde zwar mit 33 der 150 Sitze erneut stärkste Kraft. Doch ihr bisheriger Koalitionspartner, die sozialdemokratische Partei der Arbeit erlebte ein Debakel und entschied sich für die Opposition.

Zweitstärkste Kraft mit 20 Sitzen ist die rechtspopulistische Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders. Doch mit ihr will keine andere Partei zusammenarbeiten. Für eine mehrheitsfähige Koalition sind daher mindestens vier Parteien notwendig.

Ein Kern-Trio stand schnell fest: Ruttes VVD, die christdemokratische CDA und die linksliberale D66. Zunächst scheiterten Gespräche mit der grünen Partei GroenLinks. Und nun sitzt die kleine christliche Partei ChristenUnie mit am Verhandlungstisch. Aber auch das scheint nicht einfach zu sein.

«Die Ideale prallen aufeinander», seufzte unlängst der Fraktionsvorsitzende der ChristenUnie, Gert-Jan Segers. Manchmal fühle er sich wie ein Radrennfahrer bei der Tour de France nach einer schweren Bergetappe. «Dann ist Paris noch sehr weit weg.»

In der feinen Stadhouderskamer, dem einstigen Empfangssaal des Oranien-Fürsten Willem V., könnten also die Fetzen fliegen. Nur das erfährt keiner. Und die Unterhändler präsentieren sich auf ihrem täglichen Gang zu den Gesprächen immer sehr einträchtig: Vier Herren, alle um die 50 Jahre alt, meist in blauen Anzügen, schreiten anscheinend frohen Mutes und mit Akten unterm Arm über den Platz. Munter scherzen sie mit den wartenden Reportern und sind immer gerne bereit, mit Touristen für ein Selfie zu posieren.

Nur selten dringt aus den dicken Mauern ein Verhandlungsergebnis nach draußen. Vor einigen Tagen war es mal soweit: Alle Schulkinder müssen künftig die Nationalhymne auswendig lernen und sich im Amsterdamer Reichsmuseum Rembrandts «Nachtwache» ansehen, hieß es. Es ist, als wollten die künftigen Regierungsparteien mit solchen Testballönchen die Stimmung im Lande sondieren und Einheit demonstrieren.

Ihre Sorge vor einem Krach ist verständlich. Denn das designierte Viererbündnis hat nur die denkbar kleinste Mehrheit von einer Stimme und will daher in einem zweifellos dicken Koalitionsvertrag alles bis ins kleinste Detail regeln.

Bei dem Tempo könnte selbst der Weltrekord Regierungsbildung, gehalten von Belgien mit 541 Tagen, eingestellt werden, lästern Kommentatoren und die Opposition. Soweit wird es wohl nicht kommen. Doch nach der Bundestagswahl nimmt der Druck auf Den Haag zu. Denn es wäre extrem peinlich, wenn Merkel auf dem Weg nach Jamaika ihren Kollegen Rutte noch einholen würde.

Bildquelle:

  • Niederlande: dpa

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren