Kulturkampf gegen die christlichen Kirchen: „Atheisten an den Schalthebeln der Macht

von THOMAS PHILIPP REITER (Brüssel)

LUXEMBURG – „Wenn der politische Gegner am Ertrinken ist, wirf ihm einen Amboss zu.“ Nicht wenige der Regierungen in Europa machen sich diese alte Weisheit politischer Strategien im Kampf gegen die christlichen Kirchen zunutze. Jetzt hat die linksliberale Regierung Luxemburgs unter Ministerpräsident Xavier Bettel angekündigt, keine Steuermittel mehr für Gläubige zur Verfügung zu stellen. Die inzwischen gut organisierten atheistischen Vereine freut es.

Nirgendwo auf der Welt vermitteln die Medien ein düstereres Bild des Zustandes der christlichen Religionen als in Europa. Die dadurch erzeugte Verunsicherung der Gläubigen ist der Nährboden, den sich Pseudowissenschaften, Fake News und Aberglauben zunutze machen. Die Kirchen bleiben auch an Sonn- und Feiertagen zwar immer öfter leer. Doch im Gegensatz dazu gewinnt die Idee von Hölle und Paradies in einer gespalteten Gesellschaft voller aufgeheizter Verteilungskämpfe wieder an Popularität.

In seinem neuesten Buch „L’athéisme mis à nu“ (dt.: „Atheismus bloßgelegt“) warnt der frühere Präsident des „Zentrums für säkulare Aktion“ und jetzige Sekretär der im März 2012 gegründeten „Belgischen Vereinigung der Atheisten“ Patrice Dartevelle davor, dass das Vakuum, welches das Christentum auf seinem Rückmarsch hinterlässt, statt von Säkularismus vielmehr durch „irrationale Pseudowissenschaften, Fake News und Aberglaube“ gefüllt wird.

„Ein Atheist leugnet die Existenz eines oder mehrerer Götter in all seinen Formen“, erklärt Dartevelle. Er sieht in den Gotteserklärungen und den sich darauf beziehenden Texten einen rein menschlichen Glauben und keineswegs einen transzendenten immateriellen. So finden sich Atheisten ganz links, unter Liberalen wie Sozialdemokraten, aber auch ganz rechts des politischen Spektrums. Ihn freut es, dass es dem Atheismus in Europa ziemlich gut geht, während die traditionellen Religionen gleichzeitig in einer tiefen Krise stecken. Doch der Verlust christlicher „Klientel“ gehe noch lange nicht automatisch mit einem totalen Übergang zum Atheismus einher, was Darteville wiederum Sorgen macht. „Dieser Niedergang öffnet eine Bresche, die einer Rückkehr zur Leichtgläubigkeit Raum gibt, sicherlich ein sehr großes Problem für Atheisten.“

Nicht gläubig, aber auch nicht atheistisch

In Frankreich zum Beispiel verzeichnet der organisierte Atheismus triumphale Zuwachsraten. Wenn man Atheisten und Konfessionslose zusammenrechnet, befinden sich die Religiösen in der Minderheit, was dort bislang nie vorgekommen ist. Doch für diese Menschen ist der Unglaube nicht die Alternative. Vielmehr suchen sie ihre Antworten nicht im Atheismus, sondern ganz woanders. So habe sich gemäß der in Dartevelles Buch veröffentlichten Erhebungen die Zahl der Menschen, die glauben, „es gibt etwas nach dem Tod“, auf jetzt 41 Prozent gesteigert, während sie sich jahrzehntelang bei etwa einem Drittel der Befragten eingependelt hätten. Unter den 18 und 30 Jahre alten Befragten seien es sogar bis zu 47 Prozent. Auch was den Glauben an das Paradies betrifft, ist eine Steigerung zu verzeichnen. Das Gleiche gilt für den Glauben an die Hölle, was insofern überrascht, da diese in der katholischen Kirche Frankreichs gar nicht zur Verkündungsdoktrin zählt. „Dies sind die perversen Auswirkungen des Zusammenbruchs traditioneller Religionen“, schreibt Dartevelle in seinem Buch. Die Atheisten sind daher mit der bestehenden Situation trotz schwacher Kirchen alles andere als zufrieden.

„Der Aufstieg der Leichtgläubigkeit ist ziemlich verrückt“, so Dartevelle. „In der Vergangenheit wurden Bauern wegen ihrer Leichtgläubigkeit verspottet. Heute ist diese Bevölkerungsgruppe zusammen mit Bauingenieuren diejenige, die Verschwörungstheorien am wenigsten zugänglich ist.“ Vielmehr seien es „die leichtgläubigen Hochschulabsolventen der Geisteswissenschaften, die am empfänglichsten für Verschwörungstheorien sind“. Das atheistische Werk verschweigt allerdings auch nicht, dass der Atheismus für junge Muslime nicht besonders reizvoll ist und bezieht sich dabei auf Zahlenangaben einer 2018 eingereichten Masterarbeit der Freien Universität Brüssel (ULB). Vielmehr sagt zwischen einem Viertel und einem Drittel dieser jungen Menschen, dass sie eine Schule besuchen wollen, in der es nur Muslime gibt und keine Christen und sie sich sogar noch weniger ein Zusammenleben mit Atheisten vorstellen können.

Kulturkampf in Luxemburg

Gleichzeitig hat der luxemburgische Staat das Ende der staatlichen Kirchenfinanzierung beschlossen. Er folgt damit einer Forderung der „Allianz der Luxemburger Atheisten und Agnostiker (AHA)“. Deren Kampagne fußt unter anderem auf eine jüngst veröffentlichte Online- und Telefonumfrage unter 515 Einwohnern des Großherzogtums, wonach nur noch ein Viertel der Bevölkerung Religion für wichtig hält. Dass es sich dabei kaum um ein valides und repräsentatives Ergebnis für ein Land mit 650.000 Einwohnern handelt, lässt die Politik außer Acht. Insbesondere die Wählerschaft von Xavier Bettels „Demokratesch Partei (DP)“ verzeiht ihrem Premierminister die gegen ihn anhängige Plagiatsaffäre, nicht aber Untätigkeit, wenn es um den Kampf gegen Rom geht.

Im Jahr 1970, als bei Volkszählungen in Luxemburg noch nach der Religionszugehörigkeit der Einwohner gefragt wurde, gaben 96,9 Prozent der Menschen in Luxemburg an, katholisch zu sein. 1,2 Prozent waren protestantisch, 0,2 Prozent jüdisch und 1,7 Prozent gehörten einer anderen Religion an. Nun darf danach nicht mehr gefragt werden und so beruft man sich auf nichtrepräsentative Studien aus dem Jahr 2008. Dort gaben 68,7 Prozent der Befragten an, katholisch zu sein. Doch gerade im kleinteiligen Luxemburg ist das Gemeindeleben trotz Schrumpfungsprozessen und Zusammenlegungen immer noch lebendig und auch die große Popularität volksreligiöser Traditionen wie die Echternacher Springprozession, an der sich die Regierung mit administrativen Schikanen abarbeitet, sprechen eine völlig andere Sprache.

Mit der neuen Studie und den 500 Befragten soll nun ein Bild gezeichnet werden, das den Stellenwert der Religion kleiner erscheinen lassen soll, um Steuermittel entsprechend umleiten zu können. Weniger als die Hälfte der Teilnehmer bezeichnete sich als religiöse Person, obwohl sechs von zehn Befragten einräumten, einer Religion anzugehören. Etwas über 200 von ihnen gehörte keiner Religion an. Allerdings sind selbst von denjenigen, die sich als religiös bezeichnen, nur noch knapp über die Hälfte der Meinung, dass Religion gesellschaftlich relevant sei. Die Ausnahme bilden Zeremonien wie Beerdigungen oder Traditionen wie das Weihnachtsfest. Familie, Freunde, Freizeit und Arbeit sind hingegen Werte, die von 90 Prozent der Befragten geteilt werden. Fünf von sechs Religionsangehörigen gehen seltener als einmal pro Monat zum Gottesdienst. Aber immerhin sechs von zehn nehmen sich ab und zu ein wenig Zeit für den Kirchengang.

An was glauben die Menschen?

Doch woran glauben die Menschen in Luxemburg, wenn die Religion so sehr in den Hintergrund gedrängt wird? Die meisten sind eben keine Atheisten geworden, sondern sie glauben immer noch an eine höhere Kraft: Diejenigen, die einer Religion angehören, glauben zumeist an Gott, aber nicht an Himmel oder Hölle, sondern eher an die Sünde und ein Leben nach dem Tod. Allerdings glauben nur vier von zehn befragten Katholiken an die Auferstehung Christi. An den Heiligen Geist oder die unbefleckte Empfängnis glauben sogar noch weniger. Die überwiegende Mehrheit der Befragten, einschließlich der Katholiken, befürwortet gemäß der durch die atheistische Allianz veröffentlichten Umfrage die Nutzung von Verhütungsmitteln, das Recht auf Sterbehilfe, Abtreibung und die Ehe für alle.

Für die Aktivisten sind die Ergebnisse Munition, die sie Bettels Regierung im Kampf gegen die katholische Kirche liefert, zum Beispiel um das Ende der öffentlichen Finanzierung politisch zu vertreten. Die Allianz ruft bei der Präsentation ihrer Studie alle nichtpraktizierenden Christen dazu auf, aus der Kirche auszutreten: „Die Zugehörigkeit zu einer Religion ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für die Entwicklung einer moralischen Orientierung. Werte wie Respekt vor anderen, Gleichheit vor dem Gesetz, Toleranz oder Solidarität halten dafür fast alle Befragten für wichtig – ob sie nun religiös sind oder nicht.“

Bildquelle:

  • Kirchturm_Luxemburg: pixabay

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren