Nach Kroatien jetzt auch Marokko im Halbfinale:1:0 gegen Portugal und Ronaldo

Marokko steht als erstes afrikanisches Team im Halbfinale einer WM. Foto: Martin Meissner/AP/dpa

DOHA – Wir wissen nicht, ob Sie die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar aus irgendwelchen Gründen boykottieren. Und das können Sie ja auch machen, aber – ganz ehrlich – wenn Sie sich für Fußball interessieren, gar ein leidenschaftlicher Fan des Ballsports sind, dann sollten Sie dringend einschalten! Denn dieses Turnier ist der Hammer, das Spannendste, was ich seit Jahren auf internationaler Bühne im Fußball erlebt habe.

Deutschland ist raus?

Na, und? Wen interessiert das noch? Belgien ist raus, die Niederlande sind raus, sogar der hohe Favorit Brasilien ist raus. Es ist der absolute Wahnsinn, was da gerade passiert in Katar und im internationalen Fußballsport.

Außenseiter Marokko ist auf seiner Traumreise durch die Fußball-Weltmeisterschaft vorhin als erste afrikanische Mannschaft überhaupt ins Halbfinale gestürmt und hat Portugal mit Joker Cristiano Ronaldo nach Hause geschickt.

Die Löwen vom Atlas setzten sich dank eines Treffers von Youssef En-Nesyri (42. Minute) im Al-Thumama Stadion von Doha mit 1:0 (1:0) gegen den Ex-Europameister durch. Marokko beendete das Duell zu zehnt, der nach etwas über einer Stunde eingewechselte Walid Cheddira sah in der hektischen Schlussphase die Gelb-Rote Karte (90.+3).

Das Team von Trainer Walid Regragui löste mit dem Viertelfinal-Triumph Riesenjubel nicht nur unter den 44.198 meist marokkanischen Zuschauern aus, sondern auch in der afrikanischen und arabischen Welt. Die Marokkaner fordern nun am Mittwoch (20.00 Uhr) den Sieger der Partie zwischen Titelverteidiger Frankreich und Vize-Europameister England.

Für die Portugiesen bleibt die beste WM-Platzierung der dritte Platz 1966 mit dem legendären Eusébio. Die erste WM-Viertelfinal-Teilnahme seit 2006 endete mit einer bitteren Enttäuschung. Das galt vor allem für Superstar Ronaldo, der mit 37 Jahren seine möglicherweise letzte Hoffnung auf den WM-Titel begraben musste. Nachdem der Stürmer im Achtelfinale beim 6:1 gegen die Schweiz erstmals seit 2008 in einem großen Turnierspiel nicht in der Startelf gestanden hatte, musste der Kapitän zunächst erneut auf die Bank.

Für ihn lief wieder der 21 Jahre alte Gonçalo Ramos auf, dem bei seinem WM-Startelfdebüt direkt ein Dreierpack gelungen war. Diesmal blieb er blass. Mit der Einwechslung Ronaldos in der 51. Minute ermöglichte Chefcoach Fernando Santos dem früheren Weltfußballer wenigstens noch eine internationale Bestmarke: Mit seinem nun 196. Länderspiel stellte Ronaldo den Weltrekord des Kuwaiters Badr al-Mutawa ein.

Marokko ohne Mazraoui und Aguerd

Ronaldo hatte zum Turnierauftakt beim 3:2 gegen Ghana einen Elfmeter verwandelt und damit nun bei fünf Endrunden getroffen – das war zuvor noch keinem Spieler geglückt. Bester portugiesischer WM-Torschütze bleibt aber Eusébio mit neun Toren.

Schwer gehandicapt ging der Außenseiter aus Marokko in das bis dato größte Spiel seiner Fußball-Geschichte: Die Abwehrspieler Noussair Mazraoui vom FC Bayern und Nayef Aguerd von West Ham United mussten verletzt passen. Der Abnutzungskampf gegen Spanien in der Runde davor hatte Spuren hinterlassen. Gegen Portugal gingen es die Nordafrikaner, die in den vier WM-Spielen davor nur ein Gegentor kassiert hatten, sichtbar offensiver an. Nach fünf Minuten hätten sie dabei fast das 0:1 kassiert: Den Kopfball von João Félix konnte Torwart Bono, der Held vom Elfmeterschießen gegen Spanien, gerade noch zur Ecke lenken.

Portugal mit viel Respekt

Die Portugiesen zeigten ansonsten mächtig Respekt vor dem Gegner, bei dem sich vor allem die rechte Seite mit Hakim Ziyech vom FC Chelsea und dem Ex-Dortmunder Achraf Hakimi von Paris Saint-Germain einen Namen gemacht hat. Zudem mussten sich die Europäer bei fast jedem Ballkontakt gellende Pfiffe von Marokkos Fans anhören. Ein Kopfball von En-Nesyri (26.) ging noch am Tor der Portugiesen vorbei, zeugte aber von den zunehmend kesseren Angriffsbemühungen der Marokkaner. Portugals Hintermannschaft um Ersatzkapitän Pepe, der mit 39 Jahren seine vierte WM spielt, war immer wieder gefordert.

Ronaldo verfolgte mit meist unbewegter Miene, wie dann auf der Gegenseite wieder die Torgefährlichkeit von João Félix aufblitzte: Sein Ball nach einer guten halben Stunde landete abgefälscht auf dem Tornetz. Doch dann schlugen die Afrikaner zu: Torwart Diogo Costa segelte an einem Flankenball vorbei und der sprunggewaltige Sevilla-Profi En-Nesyri köpfte zur Führung ein. Ronaldo verzog auf der Ersatzbank das Gesicht.

Marokko mit Glück und Leidenschaft

Kurz darauf war Marokko im Glück, als ein als Flanke gedachter Ball von Bruno Fernandes in der nun packenden Partie an der Latte von Bonos Gehäuse landete. Nach der Pause dauerte es nicht lange, bis Ronaldo ran durfte. Leidenschaftlich warfen sich die Afrikaner in jeden Zweikampf, um den Vorsprung zu verteidigen, während eine Angriffswelle der Portugiesen nach der anderen auf Bonos Tor zurollte.

Ein zentraler Schuss von Fernandes zischte über die Latte, ansonsten stand Marokkos Mauer. Bono lenkte einen gefährlichen Schuss von João Félix über die Latte und entschärfte auch Ronaldos Versuch zu Beginn der achtminütigen Nachspielzeit. Zakaria Aboukhlal vergab per Konter leichtfertig das 2:0 (90.+6). Am Ende jubelten die Marokkaner trotzdem, weil Pepe kurz darauf am Pfosten vorbeiköpfte.

Bildquelle:

  • Historisch: dpa

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