Neue Teilung von Ost und West? Nicht, wenn wir gemeinsam am Tisch sitzen und streiten

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist schon einige Zeit her, als ich zuletzt in Thüringen war. Umso mehr freue ich mich, dass ich hier nach einem wunderbaren Abend mit einigen lieben ostdeutschen Freunden auf meinem Hotelzimmer sitze und für Sie/Euch ein paar Gedanken dazu aufschreibe.

Unsere Gespräche drehten sich ein wenig um Politik, um den erbarmungswürdigen Zustand der CDU hier nach dem jüngsten Landesparteitag, und um das spannende Experiment, das die frühere FDP-Abgeordnete Ute Bergner mit ihrer neuen Partei und jetzt auch Parlamentarischen Gruppe „Bürger für Thüringen“ wagt. Und wir sprachen auch nochmal über den 4. Februar 2021, als im Erfurter Landtag im dritten Wahlgang der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit einer Stimme Mehrheit zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wurde – mit den Stimmen seiner eigenen Partei, der CDU und der AfD. Und wie es damals dazu gekommen ist. Eine Geschichte, die unbedingt mal jemand aufschreiben sollte unter dem Titel „Wie es wirklich war“.

Aber 80 Prozent des Abends bei einer großen Fleischplatte in der Mitte des Tisches, Kartoffeln mit Kräuterquark und Gemüse beschäftigte uns der russische Krieg gegen die Ukraine, die Reaktion des Westens darauf und die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft, die Energiepreise und damit uns alle. Wir diskutierten teilweise recht hitzig, denn ich, der einzige Wessi am Tisch, wagt schon auch, seine Meinung zu sagen gegen die anderen, die in vielen – nicht allen – Teilaspekten das Thema aus der ganz anderen Sicht „gelernter DDR-Deutscher“ mit reichlich Erfahrungen mit den einstigen Freunden aus Russland hatten.

Ich will diese Diskussion hier nicht wieder aufnehmen, Sie uns ich erleben das jeden Tag – oft auf unerfreuliche Weise – in den Sozialen Netzwerken. Schön war einfach wieder einmal die Erfahrung, dass wir – Ost- und Westdeutsche – streiten können, ohne uns zu zerstreiten. Bei allen Aspekten der teils hitzigen Diskussion galt für uns alle immer die Sorge um unser eigenes Land, wie bedroht sind wir, können wir die Energiepreise bezahlen, was wäre der beste Weg, um den furchtbaren Krieg zwei Flugstunden entfernt, zu beenden?

Wir sind nicht mehr Ossis und Wessis, manche kultivieren bewusst diesen Gegensatz, weil sie meinen, sie könnten 1989 noch einmal nachspielen und noch einmal eine unfähige Regierung wegdemonstrieren. Aber so läuft das heute nicht mehr, weil die Voraussetzungen für die Bürger ganz anders sind als sie es damals für die Deutschen in der DDR waren.

Aber ich hatte gestern Abend keine Sekunde das Gefühl, irgendwie fremd zu sein in unserer Runde. Es war ein konstruktiver Streit und natürlich blieben auch die Besserwessis von 1990 nicht unerwähnt. Geschenkt, die gab es ja tatsächlich auch reichlich.

Wir alle verabschiedeten uns mit herzlichen Umarmungen. Thüringen ist mein Lieblingsbundesland, hatte ich Ihnen das schon mal erzählt? Also, wenn man von der furchtbaren Landesregierung, der furchtbaren Tageszeitung und dem furchtbaren Staatssender absieht. Aber die Leute hier, das Essen, die Herzlichkeit – phänomenal!

Ihnen allen einen schönen Mittwoch!

Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.