Politik stuft Todesfahrt in Berlin als «Amoktat» ein

Was waren die Hintergründe des Mannes, der ein Auto in eine Schülergruppe lenkte? Foto: Christoph Soeder/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur im vollen Format.
Der tödliche Vorfall mit einem Auto am Berliner Ku’damm wird von der Politik als Amoktat eingestuft.

Nach Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (beide SPD) am Donnerstagmorgen entsprechend: «Das hat sich gestern Abend verdichtet», sagte Giffey im RBB-Inforadio. Durch die Ermittlungen der Polizei sei klar geworden, «dass es sich um die Amoktat eines psychisch schwer beeinträchtigten Menschen handelt». Mit Hilfe eines Dolmetschers werde versucht, mehr «aus den teilweise wirren Äußerungen, die er tätigt, herauszufinden». Giffey sprach von einem «dunklen Tag in der Berliner Stadtgeschichte».

«Die Reise einer hessischen Schulklasse nach Berlin endet im Alptraum. Wir denken an die Angehörigen der Toten und an die Verletzten, darunter viele Kinder. Ihnen allen wünsche ich eine schnelle Genesung», so Scholz weiter.

Was über den Fahrer bekannt ist

Neben der getöteten Lehrerin wurden nach Angaben der Polizei von Mittwochabend 14 Menschen verletzt, mehrere von ihnen lebensbedrohlich. Die Trauer und die Anteilnahme aus ganz Deutschland waren enorm.

Ein Verdächtiger – ein 29 Jahre alter, in Berlin lebender Deutsch-Armenier – wurde gefasst und in ein Krankenhaus gebracht. Die Berliner Senatsverwaltung für Inneres zitierte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) bei Twitter mit den Worten: «Bin wieder in meiner Lagezentrale: Nach neuesten Informationen stellt sich das heutige Geschehen an der #Tauentzienstrasse als eine Amoktat eines psychisch beeinträchtigten Menschen dar.» Mehr Details dazu nannte sie nicht.

Ein Sprecher der Berliner Polizei sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Es gibt Indizien, die die Theorie eines psychischen Ausnahmezustands stützen.» Es handle sich aber um eine von mehreren möglichen Versionen. «Nach Durchsuchungen laufen Ermittlungen und Spurenauswertung intensiv weiter», schrieb die Polizei bei Twitter.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte zuvor im RBB ebenfalls die Offenheit der Ermittlungen betont: Man schließe im Moment «gar nichts» aus, sagte sie. Die Ermittlungen der Polizei werden von einer Mordkommission geführt, nicht vom Staatsschutz, der für eine politisch motivierte Tat zuständig wäre. Am Mittwoch wurde unter anderem auch die Wohnung des Fahrers in Charlottenburg durchsucht.

«Ein richtiges Bekennerschreiben gibt es nicht»

Im Wagen wurden neben Schriftstücken auch Plakate mit Aufschriften gefunden. «Ein richtiges Bekennerschreiben gibt es nicht», sagte Innensenatorin Spranger. Zuvor hatte es aus Polizeikreisen geheißen, es sei ein Bekennerschreiben gefunden worden. Spranger sprach von «Plakaten», auf denen Äußerungen zur Türkei stünden. Ob die Plakate eine Rolle gespielt hätten, werde noch ermittelt.

Der Fahrer war nach dpa-Informationen mit einem Auto unterwegs, das seiner älteren Schwester gehört. Er soll der Polizei wegen mehrerer Delikte bekannt gewesen sein, jedoch nicht in Zusammenhang mit Extremismus. Die Schwester des Verdächtigen sagte einem «Bild»-Reporter: «Er hat schwerwiegende Probleme.» Nachbarn äußerten sich der Zeitung zufolge erstaunt, «dass er zu so einer Tag fähig ist.»

Man habe derzeit keine Erkenntnisse gegen den Fahrer seitens des Verfassungsschutzes, sagte Spranger in der RBB-«Abendschau». Sie sprach den Hinterbliebenen und Angehörigen ihr Mitgefühl aus und kündigte für Donnerstag eine Trauerbeflaggung in Berlin an.

Am Abend gedachten zahlreiche Menschen in der Gedächtniskirche der getöteten Frau und der Verletzten. Vor Ort waren unter anderem Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (beide SPD) sowie Einsatzkräfte der Feuerwehr und Polizei. Auch Bürgerinnen und Bürger drückten bei der Andacht ihre Anteilnahme aus.

Welche Erkenntnisse es zur Todesfahrt gibt

Soweit bekannt, spielte sich der Vorfall im Herzen Berlins so ab: Der Mann fuhr den Renault-Kleinwagen am Vormittag an der Straßenecke Ku’damm und Rankestraße auf den Bürgersteig des Ku’damms und in die Menschengruppe. Dann fuhr er auf die Kreuzung und knapp 200 Meter weiter auf der Tauentzienstraße Richtung Osten. Kurz vor der Ecke Marburger Straße lenkte er den Wagen erneut von der Straße auf den Bürgersteig, touchierte ein anderes Auto, überquerte die Marburger Straße und landete im Schaufenster einer Parfümerie.

Die Bundesregierung, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigten sich bestürzt über das Geschehene. «Meine Gedanken sind bei den schwer und sehr schwer Verletzten, bei dem Todesopfer», erklärte Steinmeier. «Und sie sind bei denen, die Schreckliches erleben mussten. Mein tiefes Mitgefühl gilt ihnen, allen Angehörigen und Hinterbliebenen.» Bürgermeisterin Giffey sagte den Betroffenen Unterstützung zu.

Tatort ist Anziehungspunkt für Touristen

Die Polizei richtete eine Telefonhotline für Angehörige ein, vor Ort waren Seelsorgerinnen und Seelsorger im Einsatz. Die Gegend, in der sich der tödliche Vorfall am Mittwoch ereignete, ist wegen der vielen Geschäfte, Cafés und Sehenswürdigkeiten oft sehr belebt. Sie ist ein Anziehungspunkt für Touristen aus dem In- und Ausland.

Der Unfallort befindet sich unweit der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz in Berlin-Charlottenburg. Dort war im Dezember 2016 ein islamistischer Attentäter in einen Weihnachtsmarkt gefahren. Dabei und an den Spätfolgen starben 13 Menschen, mehr als 70 wurden verletzt. Der Fall vom Mittwoch weckte in Berlin auch Erinnerung an eine Amokfahrt auf der Stadtautobahn A100 im August 2020, als ein Autofahrer gezielt drei Motorradfahrer rammte. Er wurde vom Gericht in die Psychiatrie eingewiesen.

Bildquelle:

  • Auto fährt in Berlin in Menschenmenge: dpa

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