Warum läuft eigentlich die beste 9/11-Doku nicht in der ARD, sondern bei Netflix?

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der 20. Jahrestag der verheerenden Terrorangriffe gegen Machtzentren in den USA ist schon wieder vorbei. Heute steht dann etwas Anderes im Mittelpunkt des Interesses, aber ziemlich sicher nichts, das so nachhaltig in unser Leben wirkt bis heute. Erinnern Sie sich noch, wie es vorher war, wenn man eine Flugreise antrat? Flughafen, check in, rein in den Flieger? Seit 9/11 wird genau hingeschaut, gibt es diese kleinen Plastikbeutel für Flüssigkeiten, die ebenso abzugeben sind wie Plastikflaschen mit Cola.

Behörden wurden neu geschaffen Kriege geführt, alles wegen eines Tages im September, der doch so ruhig und sonnig begonnen hatte.

Unsere jüngste Tochter, Sie kennen sie, weil ich ab und zu von ihr erzähle, beschäftigte sich heute zum ersten Mal intensiver mit 9/11. Als die Flugzeuge in die Twin Towers, das Pentagon und den Ackerboden von Shanksville krachten, war sie noch nicht geboren. Ihre älteste Schwester war damals zwei Jahre alt und starrte bei uns zu Hause auf den Fernsehbildschirm. So viel Qualm, was ist da bloß los, wird sie gedacht haben.

Unsere 13-Jährige sagte mir beim Frühstück gestern Morgen – Brötchen mit Nutella natürlich -, dass sie auf TickTock Filme von den Anschlägen angeschaut hat. Nur das Video von „The Falling Man“ wollte sie nicht ansehen, sie wollte den Horror noch ein Stück weit von sich weghalten. Aber der Horror ist da, und wir können, ja dürfen ihn nicht ausblenden, wie so vieles anderes in unserer Gesellschaft.

Am Abend haben wir zusammen die ersten beiden Folgen von „Wendepunkt“ angeschaut, der neuen Serie auf Netflix, die sich mit den Anschlägen vom 11. September beschäftigen – nicht in einer Spielhandlung, sondern als Dokumentation mit vielen Filmaufnahmen, die zumindest ich vorher noch nie zuvor gesehen habe, mit Interviews von Überlebenden und Audio-Aufnahmen von Telefonaten, wo Geiseln in den entführten Flugzeugen ihre Kinder ein letztes Mal grüßen lassen oder aufgeregte Stimmen aus dem Südturm einem Polizisten sagen, dass es sehr heiß sei, und sie bitte schnell kommen sollen.

Es ist so wichtig, dass die jungen Leute verstehen, was vorgeht in dieser Zeitepoche. Und das werden sie nur, wenn sie es in bewegten Bildern aufnehmen, denn so ist diese Zeit. Klar, manche lesen auch Bücher, aber die große Masse will kurze Informationen und bewegte Bilder. Warum zeigt eigentlich Netflix, ein Privatunternehmen, eine solche hervorragende Dokumentation? Warum läuft so etwas nicht in ARD und ZDF, Phoenix oder meinetwegen 3.Sat? Warum ist der eindringlichste und bewegendste Film über den Holocaust eine amerikanische Produktion von Steven Spielberg? Warum werden wir in deutschen Produktionen, im Kino, in Serien, im Tatort belästigt mit tumber Volkserziehung? Warum müssen wir Sender mit Milliardensummen zwangsweise finanzieren, bei denen wir dauernd mit den Bedürfnissen winziger Minderheiten belästigt werden, während unsere Welt Stück für Stück in Trümmern zerbricht?

Der Islamismus ist aus meiner Sicht die größte Gefahr für unsere Art zu denken, zu leben, auch zu lieben. Ja, es gibt andere Herausforderungen, China wird zu einem großen Problem, aber eine Weltreligion, zahlreiche Staaten, Millionen gewaltbereite Fanatiker, die keine Angst vor dem Tod haben, das kann am Ende des Tages eine tödliche Herausforderung für Gesellschaften sein, die hauptsächlich darüber nachdenken, auf welchem Sonnenstuhl sie vorsorglich ihr Handtuch ablegen können und welches Nachwuchsmodel in diesem Jahr bei Heidis GNTM weinend gewinnen wird.

Ich habe zunehmend den Eindruck, in einer schrumpfenden Blase von Menschen zu leben, die sehen, was gerade passiert, und schreien zu wollen, aber niemand hört das Schreien. Gut, vielleicht habe ich so langsam auch nicht mehr alle Tassen im Schrank, gut möglich. Aber warum brauchen wir ein öffentlich-rechtliches Fernseh- und Radiosystem, das existenzielle Probleme unserer Zeit Leuten wie Kleber und Böhmermann überträgt?

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.