Arbeitgeber und Wirtschaft zerpflücken Schulz-Forderungen zur Agenda-Reform

Nach Ansicht des BDA sind viele Vorschläge des SPD-Kanzlerkandidaten «ohne präzise Kenntnis der Zahlen oder der Rechtslage in Deutschland formuliert». Foto: Carsten Rehder

Berlin – Deutschlands Arbeitgeber und Wirtschaftsexperten haben die Reformvorschläge von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz für den Arbeitsmarkt auseinandergenommen.

«Viele Vorschläge sind ohne präzise Kenntnis der Zahlen oder der Rechtslage in Deutschland formuliert», heißt es in einer Bewertung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), aus der die Zeitungen der Funke Mediengruppe zitieren. Eine Verlängerung des Arbeitslosengeld-I-Bezugs würde «eine schnelle Wiederaufnahme von Arbeit erschweren».

Zudem habe Schulz «viel zu hohe Zahlen» zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen genannt, hieß es weiter. In der Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren seien tatsächlich gut zwölf Prozent der Beschäftigten befristet tätig. Schulz hatte dagegen im Interview der «Bild»-Zeitung von knapp 40 Prozent gesprochen.

Der SPD-Kanzlerkandidat hatte am Montag angekündigt, mit einer Änderung der umstrittenen Agenda 2010 in den Wahlkampf ziehen zu wollen. «Menschen, die viele Jahre, oft Jahrzehnte, hart arbeiten und ihre Beiträge gezahlt haben und zahlen, haben ein Recht auf entsprechenden Schutz und Unterstützung, wenn sie – oft unverschuldet – in große Probleme geraten», hatte der 61-Jährige am Montag bei einer Arbeitnehmerkonferenz seiner Partei in Bielefeld gesagt. In der «Neuen Westfälischen» begründete er die Motivation für seinen Vorstoß: «Die Agenda war in vielen Punkten ein Erfolg, in manchen nicht. Wir müssen Lösungen mit heutigen Antworten finden und nicht mit einer rückwärts gewandten Debatte.»

Warnungen vor einer Aufweichung der Agenda 2010 kamen auch von anderen Wirtschaftsexperten. «Die Politik sollte sich auch im Wahlkampfmodus erst einmal fragen, welche Grundpfeiler in den vergangenen Jahren die Stabilität des deutschen Arbeitsmarkts getragen haben», sagte der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, der «Rheinischen Post». «Ein wesentlicher Bestandteil waren die Reformen der Agenda 2010, die den beeindruckenden Abbau der Arbeitslosigkeit und gleichzeitigen Aufbau der Beschäftigung seit 2005 mitgetragen haben.»

Ifo-Instituts-Präsident Clemens Fuest sagte der Zeitung: «Bei undifferenzierter Rückabwicklung der Agenda drohen Gefahren für den Arbeitsmarkt und für das Wirtschaftswachstum in Deutschland.»

Der Kritik an Schulz‘ Plänen schloss sich auch das Institut der deutschen Wirtschaft an. Direktor Michael Hüther warnte in der «Passauer Neuen Presse» ebenfalls vor einer verlängerten Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I. «Eine Ausdehnung der Zahlung führt nicht zu höherer Wiederbeschäftigung, das wissen wir aus vielen Studien und Befragungen. Es wäre reine Alimentierung.» Ähnlich äußerte sich der Koblenzer Arbeitsmarktforscher Stefan Sell im MDR: «Das ist eine Korrektur, die dem Einzelnen dann ein, zwei, drei Monate hilft. Aber es ändert an dem Hartz-IV-System doch gar nichts.»

Der frühere Chef der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, geht davon aus, dass die SPD mit ihren neuen Wahlversprechen den Arbeitsmarkt nicht verbessern werde. «Das größte Arbeitsmarktproblem ist immer noch die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit», sagte der Ökonom dem «Handelsblatt». Den Langzeitarbeitslosen helfe eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengelds nicht.

Unterstützung für Schulz kam dagegen vom konservativen SPD-Flügel «Seeheimer Kreis». «Das sind Reparaturmaßnahmen, wo die Agenda 2010 nicht so gewirkt hat, wie wir uns das vorgestellt haben, wo es Fehlentwicklungen und Missbrauch gab», sagte Seeheimer-Chef Johannes Kahrs der «Rheinischen Post».

Positiv nahm auch die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie die Pläne auf. Ihr Vorsitzender Michael Vassiliadis sagte der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung»: Die «sachgrundlose» Befristung von Arbeitsverträgen «ist ein Übel, das inzwischen fast jede Familie kennt – egal, ob Akademiker oder einfache Arbeiter dazugehören.» Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) stimmte dem Vorstoß von Schulz zu: «Wer länger in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat als andere, sollte auch mehr davon haben», sagte er der Zeitung.

Bildquelle:

  • Martin Schulz: dpa

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