Eineinhalb Stunden heiße Luft in Istanbul: Europa und die USA könnten das Töten in der Ukraine immer noch beenden

von KLAUS KELLE

ISTANBUL – Ist es schon ein Erfolg, dass es überhaupt ein Treffen von Delegationen aus Russland und der Ukraine in Istanbul gegeben hat nach drei Jahren? Ich denke nicht.

Nachdem klar wurde, dass weder Wladimir Putin noch Donald Trump zu Friedensverhandlungen in die Türkei kommen würden, hätte man sich das ganze Theater auch schenken können. Oder, wie der amerikanische Präsident gestern in Doga (Katar) Journalisten zurief: „Es wird nichts passieren, solange Putin und ich uns nicht treffen.“ Und das ist wohl so.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte vorher sofort und ohne Vorbedingungen dem Trump-Vorschlag zu einem sofortigen 30 Tage dauernden Waffenstillstand in seinem Land zugestimmt. Bundeskanzler Friedrich Merz merkte dazu heute zurecht an: Damit sei für jeden ersichtlich, wer Frieden wolle und wer nicht.

90 Minuten hat das Treffen zweier nachrangig besetzter Delegationen aus Moskau und Kiew heute in Istanbul gedauert. Nun sind alle wieder auf dem Heimflug. Gebracht hat es nichts.

Es konnte nichts bringen, weil Wladimir Putin ganz offensichtlich „all in“ spielt, er will seine Maximalforderungen zu 100 Prozent durchbringen, daraus macht er keinen Hehl. Das heißt: Moskau will, dass die Krim völkerrechtswidrig fest zur Russischen Föderation gehört ebenso wie die leidlich annektierten ukrainischen Regionen Donbass (Anteil der russischstämmigen Bevölkerung 38%), Luhansk (39%), Charkiw (26%) und Saporischschja (25). Nur: Lediglich der Donbass ist bisher tatsächlich unter Kontrolle der russischen Truppen. Heißt: Putin will am Grünen Tisch von der internationalen Gemeinschaft das zugesprochen bekommen, was er gar nicht hat.

Als sei das nicht genug, fordert der Kreml die komplette Auflösung der ukrainischen Armee, lediglich Polizei wäre noch erlaubt, den Sturz der frei gewählten ukrainischen Regierung, die ersetzt würde durch eine Marionettenregierung, wie Putin sie mit Alexander Lukaschenko in Belarus unterhält.

Und wo ist Russland zu Zugeständnissen bereit?

Sie ahnen es: bei nichts. Nicht einmal zu einem Waffenstillstand ist man sich aufzuraffen bereit.

Was Russland da fordert, ist komplett inakzeptabel – für die Ukraine ebenso wie für den Westen.

Ich bin überzeugt, dass Donald Trump das erbärmliche Spiel Putins nicht mitmachen wird, die europäische Staatengemeinschaft – mit Ausnahme vielleicht von Ungarn und der Slowakei – ganz sicher nicht.

Bereits im Jahr 2022 – das wird gern von AfD- und Linke-Politikern behauptet – wäre es leicht gewesen, den Ukraine-Krieg zu beenden. Auch da traf man sich zu Verhandlungen in der Türkei. Auch da stellten Putins Emissiäre unannehmbare Maximalforderungen.

Die Tageszeitungen „Wall Street Journal“ und „New York Times“ konnten die Protokolle der Verhandlungen damals einsehen. Danach verlangte Russland vor Einstellung seiner „Spezialoperationen“ den Verzicht der Ukraine auf einen Beitritt zur NATO, eine umfassende Demilitarisierung des Landes, ein striktes Verbot, Militärabkommen mit anderen Staaten zu schließen, und das Verbot, ausländischen Waffensysteme in der Ukraine zu stationieren. Zusammengefasst: Waffenstillstand gegen Aufgabe der kompletten Verteidigungsfähig durch die Ukraine.

Wie betrunken müsste ein Staatschef sein, um sein Volk dermaßen preiszugeben?

Der Westen muss jetzt das tun, was er schon von Anfang an hätte tun müssen: Die Ukraine mit allem Mitteln konsequent zu unterstützen, was das um sein Freiheit kämpfende Land braucht. Russland ist nicht unbesiegbar, das ist eine Mär, die Russlands hybride Einflüsterer gern verbreiten. Aber tatsächlich hat die russische Armee gigantische Verluste an Mensch und Material im Osten der Ukraine zu verzeichnen, die russische Wirtschaft – außer dem Kriegssektor – ist existenziell angeschlagen. Gazprom verzeichnet Milliardenverluste, russische Passagierflugzeuge können nicht mehr starten, weil Ersatzteile für die Maschinen aus dem Westen fehlen. Die Ukraine hat inzwischen eine eigene leistungsfähige Kriegswirtschaft aufgebaut, besonders die Drohnenproduktion ist zu einer gefährlichen Waffe gegen Russlands Hinterland geworden. Ständig werden Tanklager, russische Militärflugplätze, Munitionsdepots mit ukrainischen Drohnenschwärmen angegriffen.

Wenn jetzt die willigen EU-Staaten endlich tiefgreifende Sanktionen gegen die russische „Schattenflotte“ durchsetzen, deren Schiffe nicht mehr europäische Häfen anlaufen lässt, dann ist es möglich, die russischen Möglichkeiten, Krieg zu führen, so empfindlich zu beeinträchtigen, dass dieser Weg schneller zu Friedensverhandlungen führen wird, als das lächerliche Kasperletheater gerade in Istanbul.

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Bildquelle:

  • Tischfahnen_Ukraine_Russland: depositphotos / rlacheev

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.