Nicht blauäugig angeblichen Prognosen glauben: „Wie Mücken zu Elefanten werden“

Professor Walter Krämer weiß, wie Statistiken lügen können.

BERLIN – Walter Krämer ist Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik (inzwischen emeritiert) an der Technischen Universität Dortmund. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er durch den Bestseller „So lügt man mit Statistik“ bekannt. In seinem neuen Buch, gemeinsam mit Thomas Bauer, Gerd Gigerenzer und Katharina Schüller geschrieben, sensibilisieren anhand spektakulärer Beispiele, wie man Unsinn und Fake News leicht erkennt. Es heißt: „Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich“. Höchste Zeit, mit Professor Krämer selbst zu sprechen.

Herr Professor Krämer, Sie genießen international nicht nur eine hohe Reputation als Statistikexperte, auch die literarische Welt kennt Sie als Bestsellerautor. Nun haben Sie mit Ko-Autoren ein neues Buch geschrieben mit dem Titel „Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich“. Was verbirgt sich hinter dem recht ungewöhnlichen Titel?

Wir machen in unserem Buch nur auf sogenannte Unstatistiken aufmerksam, die so etwas versprechen. Wir wollen unsere Leser sensibilisieren, nicht allzu blauäugig mit Zahlen und angeblichen Fakten umzugehen, die ihnen die Medien so servieren. Hinsichtlich des ewigen Lebens haben wir Bezug genommen auf eine amerikanische Studie, die besagt: wer eine Stunde in der Woche joggt, lebt sieben Stunden länger. Das hat dann zu Schlussfolgerungen geführt – ich übertreibe etwas –: wer 10 Stunden joggt, lebt 70 Stunden länger, wer eine Woche joggt, lebt sieben Wochen länger, und so weiter.

Einige Medien haben übersehen, dass sich bei einer Verdoppelung des Aufwandes nicht automatisch auch der Ertrag verdoppelt. Umgekehrt gibt es auch haufenweise Panikmeldungen über Dinge, die das Leben nicht verlängern, sondern verkürzen. Nehmen Sie die unsägliche Feinstaubdebatte. Da werden aus Mücken systematisch Elefanten produziert. Warum ist in den Medien nirgends zu lesen, dass ein Adventskranz mit Naturkerzen mehr Feinstaub pro Liter Luft produziert als jede Schnellstraße in Stuttgart, auf der dauernd gemessen wird und mit deren Messungen die Medien regelmäßig Panik machen?

Sie gehen in Ihrem Buch in einem Kapitel dezidiert auf die Medien ein, wenn es um die Verbreitung falscher Fakten und Fake-News geht…

In der Tat. Für viele Medien gilt wohl die Devise: Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht. Vielfach werden Meldungen verbreitet, ohne zu hinterfragen, ob wirklich Substanz dahinter steckt. Die Tageszeitung „Die Welt“ hat vor einiger Zeit auf Seite 1 gemeldet: „Die Cholera-Gefahr in Deutschland hat sich verdoppelt.“ Tatsache ist: In den sechs Jahren, bevor die Meldung erschien, gab es in den ersten drei Jahren drei Cholera-Fälle in Deutschland, in den nächsten drei Jahren sechs. Macht ein Wachstum von 100 Prozent! In Wahrheit war die Gefahr vorher null und nachher null.

Sowas passiert, wenn man über Risiken berichtet, ohne die absoluten Zahlen zu nennen. Ein weiteres Beispiel: Das ZDF meldete nach der Unterhauswahl in England, dass – na wer wohl? – die Grünen die großen Wahlgewinner wären. Vorher 1,6 Prozent, nachher 2,7 Prozent. Das sind 60 Prozent mehr! Davon können die anderen Parteien nur träumen.

In Wahrheit sind die Grünen in England natürlich eine unbedeutende Splitterpartei, die keiner ernst nimmt. Aber im ZDF waren sie der große Wahlsieger.

Unterstellen Sie dem ZDF etwa bewusste Manipulation?

Natürlich. Vielfach wird bei der Berichterstattung sehr schnell klar, aus welchen Ställen solch ideologisch verbrämten Meldungen die Welt betreten. Auch der jahrzehntelange Krieg gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie war eine öffentlich-rechtliche Desinformationskampagne von krimineller Größenordnung. Vor allem beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit 21 TV-Sendern und 73 Radio-Sendern ist festzustellen, dass die dort Herrschenden den Anspruch ableiten, das Volk politisch missionieren beziehungsweise erziehen zu müssen. Der linksgrüne Drall, der sich durch fast alle Sender und Programme zieht, hat als oberste Richtschnur, Haltung statt seriöser Information zu vermitteln.

Sie schreiben in dem Kapitel „Korrelation und Kausalität“, dass eine ganz bestimmte Fehlerquelle die Hälfte aller Unstatistiken ausmacht. Was genau belegen Sie in dem Kapitel?

Dass das eine oft zu Unrecht für das andere gehalten wird. Wenn zwei Variablen wie Körpergröße und Gewicht systematisch in die gleiche Richtung laufen (oder auch in die entgegengesetzte, je nachdem), ist vielfach zu Unrecht in den Medien zu lesen oder zu hören, die eine Variable sei die Ursache für die andere.

Eine einschlägige, von uns aufgegriffene Unstatistik behauptet, dass der sterbende Regenwald die Corona-Pandemie verursacht hat. Die Begründung: In den letzten 17 Jahren hat der Regenwald systematisch ab- und die Inzidenz von virusinduzierten Infektionskrankheiten systematisch zugenommen. So beweise ich Ihnen aber auch, das Apfelsinen uns zu Säufern machen: Seit dem 2. Weltkrieg haben sowohl die Apfelsinenimporte als auch die Belegungszahlen der deutschen Trinkerheilanstalten gewaltig zugelegt. Aber doch nicht, weil Apfelsinen den Alkoholkonsum befördern, sondern weil im Zuge des Wirtschaftswunders mehr Geld sowohl für Schnaps als auch für Südfrüchte vorhanden war.

In einem weiteren Kapitel widmen Sie sich falschen Prognosen. Sind Prognosen denn grundsätzlich immer falsch?

Wir unterscheiden in unserem Buch zwischen Scheinprognosen und echten Prognosen. Echte Prognosen sind (fast) immer falsch – im Sinne von: nicht 100 Prozent zutreffend. Eine Scheinprognose ist eine Prognose, die nicht falsch sein kann. Zum Beispiel: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist.“ Diese Prognose trifft immer zu, weil der „Dann-Teil“ immer richtig ist.

Oft ist auch der „Wenn-Teil“ so formuliert, dass der „Dann-Teil“ automatisch daraus erfolgt: Wenn sich die Corona-Inzidenz jeden Monat verdoppelt, haben wir Ende des Jahres soundso viele Infizierte in der Republik. Das ist aber keine Prognose mehr, sondern eine arithmetische Fingerübung. Echte Prognosen sind Voraussagen, die theoretisch auch fehlgehen können. Das passiert besonders häufig, wenn der „Wenn-Teil“ komplett fehlt.

Gottlieb Daimler 1901: „Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million niemals übersteigen“. Der Chef von IBM 1943: „Es gibt auf der ganzen Welt einen Bedarf von maximal fünf Computern.“ Bill Gates sagte noch 1995, dass das Internet nur ein Hype sei und man damit niemals Geld verdienen könne. Und laut Margaret Thatcher 1974 werde zu ihren Lebzeiten niemals eine Frau Premierministerin von England werden. Derzeit haben wir die dritte Premierministerin. Diese Aussagen zeigen, dass es in aller Regel schiefgeht, wenn der „Wenn-Teil“ weggelassen und lediglich etwas über die Zukunft behauptet wird.

Lässt sich die Zahlenblindheit, die auf die meisten Menschen zutrifft und zu falschen Rückschlüssen führt, überwinden, oder bleibt dies nur studierten Statistikern vorbehalten?

Um die Zahlenblindheit zu überwinden, muss man anfangen umzudenken. In der Schule wird den Kindern Statistik oft immer noch, falls überhaupt, als Teil der Wahrscheinlichkeitsrechnung beigebracht. Um einen Blick hinter den Vorhang einer Meldung werfen zu können, sollte man Statistik in die Fächer Physik, Biologie, in den Sachunterricht und in die Gemeinschaftskunde integrieren und unterrichten und Statistik nicht nur als ein Teilgebiet der Mathematik betrachten.

Das Gespräch führte Janina Schäfer.

Bildquelle:

  • Prof. Walter Krämer: janine schäfer

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