von ALEXANDER STURM
WIESBADEN – Im milliardenschweren Steuerskandal um Cum-Ex-Aktiendeals ist ein zweites Urteil gegen die Schlüsselfigur Hanno Berger gefallen. Das Landgericht Wiesbaden verurteilte den 72-Jährigen am Dienstag wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten. Zudem muss Berger knapp 1,1 Millionen Euro Taterträge aus seinem Vermögen zurückzahlen, verkündete die Vorsitzende Richterin Kathleen Mittelsdorf. Das Urteil ist noch nichts rechtskräftig, Berger kann Revision dagegen einlegen.
Mit dem Urteil nach rund einjährigem Prozess blieb das Gericht unter dem möglichen Höchstmaß von 15 Jahren. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hatte auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten plädiert, die Verteidigung auf Freispruch: Zum Zeitpunkt der Vorwürfe habe es keine gesetzliche Grundlage in Bezug auf Cum-Ex-Geschäfte gegeben.
«Ein Griff in die Staatskasse»
Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hatte Berger vorgeworfen, von 2006 bis 2008 bei Cum-Ex-Geschäften mitgewirkt zu haben, die zu unberechtigten Steuerrückerstattungen von 113 Millionen Euro führten. Bei den von Berger vermittelten Deals seien über frühere Beschäftigte der Hypovereinsbank Dax-Aktien im Wert von 15,8 Milliarden Euro gehandelt worden. Profiteur war ein inzwischen verstorbener Immobilieninvestor. Die Gewinne habe man aufgeteilt. Die Rede war von mehrstufigen Geschäften, die nur der Verschleierung gedient hätten.
Für die komplexen Aktiengeschäfte habe es mehrere Treffen zur Vorbereitung gegeben, bevor die Deals nach einem «genauen Masterplan» über die Hypovereinsbank abgewickelt wurden, erklärte die Vorsitzende Richterin Mittelsdorf. Die Kammer gehe davon, aus, dass Berger von Anfang an klar gewesen, dass ein Steueranspruch verletzt worden sei und «ein Griff in die Staatskasse erfolgte». Berger reagierte immer wieder mit Kopfschütteln auf die Ausführungen, äußerte sich am Dienstag aber nicht mehr zu den Vorwürfen.
Berger gilt als Architekt der Cum-Ex-Deals, mit denen Banken und Investoren den Staat geschätzt um mindestens zehn Milliarden Euro prellten. Rund um den Dividendenstichtag wurden Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Ausschüttungsanspruch zwischen mehreren Beteiligten hin- und hergeschoben. Am Ende des Verwirrspiels erstatteten Finanzämter Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. 2012 wurde das Steuerschlupfloch geschlossen. Lange war unklar, ob Cum-Ex-Geschäfte illegal waren. 2021 entschied der Bundesgerichtshof dann, dass Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung zu werten sind. Cum-Ex gilt als größter Steuerskandal der deutschen Geschichte.
Berger drohen bis zu 15 Jahre Haft
Es ist nicht das erste Cum-Ex-Urteil wegen Steuerhinterziehung gegen Berger: Da das Landgericht Bonn bereits im Dezember eine Haftstrafe von acht Jahren gegen ihn verhängt hat, können beide Urteile nachträglich verrechnet werden – Berger drohen damit bis zu 15 Jahre Gefängnis. Dazu müssen die beiden Urteile aber erst rechtskräftig sein. Die Landgerichte in Bonn und Wiesbaden hatten sich nicht darauf einigen können, die Verfahren zusammenzulegen.
Berger gilt als Wegbereiter dafür, dass Cum-Ex-Deals in Deutschland, die ihre Hochphase zwischen 2006 und 2011 hatten, im großen Stil betrieben werden konnten. Berger habe ein «Rundum-Sorglos-Paket» für vermögende Investoren angeboten, sagte Mitteldorf.
Berger hat in seinem Leben eine bemerkenswerte Wandlung hingelegt. Kontrollierte er als Beamter in der hessischen Steuerverwaltung einst Banken, wechselte er später die Seite und machte sich als Steueranwalt selbstständig. Berger pries Cum-Ex-Deals bei Banken und Vermögenden als rechtlich sichere Steueroptimierung an, beriet bei der Konstruktion der Geschäfte und verdiente Millionen.
Später schloss sich die Schlinge der Justiz um «Mr. Cum-Ex». Als 2012 seine Kanzlei in Frankfurt durchsucht wurde, floh Berger in die Schweiz. Aus seinem Exil wies er die Vorwürfe zurück und sah sich als Opfer eines Justizskandals. Berger, der als blitzgescheit, aber stur gilt, pocht darauf, dass Cum-Ex-Deals damals nicht strafbar gewesen seien. Schon 2017 war Anklage gegen Berger und weitere Beschuldigte erhoben worden. Doch Berger leistete hartnäckigen juristischen Widerstand, bis er im Februar 2022 ausgeliefert wurde. Seither sitzt er in Untersuchungshaft. Diese Zeit sowie die Auslieferungshaft in der Schweiz seit Juli 2021 werden nun bei dem Urteil angerechnet.
Berger ist der prominenteste von vielen Beteiligten im Cum-Ex-Skandal. Bei der federführenden Staatsanwaltschaft Köln liegen laut dem Verein Bürgerbewegung Finanzwende über 100 Fallkomplexe mit mehr als 1400 Beschuldigten. Urteile gegen Banker gab es bisher nur gut eine Handvoll. Der Rechtsstaat habe bei Cum-Ex über Jahre versagt, kritisierte Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende. Die Cum-Ex-Täter seien lange ungeschoren davon gekommen.
Das Wiesbadener Urteil habe Signalwirkung, sagte Schick. «Auch Menschen wie Hanno Berger stehen nicht über dem Gesetz.» Klar sei aber, dass die juristische Aufklärung erst am Anfang stehe – und das mehr als 10 Jahre nach dem Stopp der Geschäfte.
Bildquelle:
- Hanno Berger: dpa