von PROF. DR. PATRICK PETERS
WASHINGTON – Straßen und Brücken, Breitband, E-Auto-Ladestellen und das Stromnetz: US-Präsident Joe Biden will mit massiven Staatsausgaben die zum Teil völlig marode Infrastruktur in den Vereinigten Staaten modernisieren. Dafür hatte er sich mit der Republikanischen Partei auf ein Konjunkturprogramm von 1,2 Billionen US-Dollar geeinigt – ursprünglich. Denn zuletzt haben einige Republikaner erklärt, vielleicht doch nicht zustimmen zu wollen. Zehn Republikaner-Stimmen werden gebraucht, um eine Blockade des Projekts zu verhindern.
Der Hintergrund: Selbst die Demokraten als die Präsidentenpartei sind sich über den haushaltspolitischen Kurs Joe Bidens nicht einig. Die demokratische Repräsentantenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi hat angekündigt, dem parteiübergreifenden Infrastruktur-Kompromisspaket erst dann zuzustimmen, wenn der Senat auch ein zweites Paket mit den sozialstaatlichen Demokraten-Zielen (Jobs, Familien) beschlossen hat. So hat der dezidierte Linksdemokrat Bernie Sanders, Vorsitzender des Haushaltsausschusses im US-Senat, ein sechs Billionen US-Dollar schweres, stark sozialorientiertes Programm vorgelegt.
Weiterer Streit ist also vorprogrammiert, auch weil der US-Kongress sich erneut über die Schuldenobergrenze zankt und damit einen Regierungsstillstand riskiert. Ohne eine Erhöhung ist das Limit in Höhe von 28,5 Billionen US-Dollar Ende des Monats im Prinzip ausgereizt. Dann könnte es zu einem sogenannten government shutdown kommen, bei dem viele Bundesbehörden aus Geldmangel den Betrieb einstellen müssten.
Auch diese Probleme werden die USA beheben, daran bestehen wohl keine Zweifel. Viel interessanter sind ohnehin die langfristigen Aussichten. Denn Joe Bidens wirtschaftspolitische Strategie zielt nicht auf einen Dauer-Boom und der kontinuierlichen Suche nach dem nächsten Rekordaufschwung. Vielmehr will er, einem Bericht der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt“ zufolge, bescheidenes Wachstum mit mehr Gerechtigkeit erreichen. Ein echter Paradigmenwechsel also, der in Zahlen so aussieht: „Im Haushaltsentwurf, den das Weiße Haus im Mai vorlegte, sagt die US-Regierung nach einer massiven Post-Corona-Konjunkturaufholung 2021 und 2022 keine hohen Zuwächse mehr für das Bruttoinlandsprodukt voraus. Die Durchschnittsrate werde danach inflationsbereinigt Jahr für Jahr maximal zwei Prozent betragen, heißt es in dem Konzept – und das, obwohl die Biden-Regierung die staatlichen Ausgaben massiv hochtreiben will“, berichtet das Handelsblatt.
Zwei Prozent seien etwa die Hälfte dessen, was die US-Wirtschaft in den achtziger und neunziger Jahren im Schnitt an Wachstum hingelegt hat, und reichten nicht einmal an die rund 2,3 Prozent, die die US-Wirtschaft im Jahrzehnt zwischen Finanzkrise und Ausbruch der Pandemie gewachsen sei. Das geschieht laut Handelsblatt absichtlich. „Der Fokus auf Wachstum und einen blühenden Aktienmarkt ist gestrig“, zitiert die Zeitung Joe Bidens Chefökonom Jared Bernstein im Magazin „Foreign Policy“. „Wichtiger ist, dass wir global wettbewerbsfähig sind, und dass Wohlstand nicht nur die oberen ein oder zwei Prozent, sondern auch die Einkommensschwachen erreicht.“ Joe Biden will, dass einem durchschnittlichen Haushalt binnen eines Jahrzehnts rund 36.000 US-Dollar mehr zur Verfügung stehen.
Ob das wirklich so kommt und ob sich die Unternehmen vorschreiben lassen, wie stark oder eben nicht sie wachsen dürfen, damit sie Joe Bidens Wachstumsziele nicht überschreiten, sei dahingestellt. Die Zeichen stehen aber generell für einen Paradigmenwechsel in der US-Wirtschaftspolitik, den gerade Investoren genau beobachten sollten. Norbert Goerlitz von Argentum Asset Management beobachtet die US-Wirtschaft sehr genau. „Derzeit ist die Dynamik von US-Aktien ungebrochen. Sowohl die großen Technologiewerte als auch Unternehmen, die vom neuen Konjunkturzyklus und den Konjunkturprogrammen profitieren, lohnen sich für Anleger. Zumindest kurz- bis mittelfristig ist die US-Wirtschaft absolut intakt und damit wichtig für jede Anlagestrategie“, sagt der Fondsmanager.
Er sieht aber in diesen Entwicklungen weitere Anzeichen für eine Verlagerung von Westen nach Osten. Gerade China habe sich eine exzellente Position in der Weltwirtschaft erarbeitet und werde in den kommenden Jahren durch weiteres starkes Wachstum auffallen, nachdem das Land auch bereits weitgehend unbeschadet durch die Corona-Krise gekommen sei. „Der Blick nach Osten wird somit immer wichtiger. Das sollte sich in jeder langfristig orientierten Anlagestrategie widerspiegeln. Der asiatisch-pazifische Raum könnte der Wirtschaftsraum der Zukunft sein.“
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