Am Morgen danach: Warum schoss der Mörder im Gottesdienst der Zeugen Jehovas?

Liebe Leserinnen und Leser,

die Liste der Politiker, die in der Nacht ihr Mitgefühl für die Opfer und Angehörigen der Tragödie im Königreichssal der Zeugen Jehovas bekundet haben, ist lang. Und es liest sich wie immer, fast so, als habe die Pressestelle des Bürgermeisters, der Bundesinnenministerin und des Erzbistums Satzteile und Wortstanzen, die sie immer wieder neu zusammensetzen bei solchen Gewaltaten. Meine Gedanken sind…in tiefem Mitgefühl…schockiert…arbeiten mit Hochdruck. Die katholische Kirche in Hamburg kam immerhin noch auf die Idee, zum Gebet für die Opfer aufzurufen. Ich war nicht sicher, ob die Modernisierer dort sich noch an sowas Altmodisches erinnern können.

Als Journalist stehen Sie genau so fassungslos vor einer solchen Tat, aber unser Job ist dann halt, schnell herauszufinden, was passiert ist. Und da ist die Nachrichtenlage auch jetzt um 5.40 Uhr weiter extrem dünn. Wenn Sie nur die Agenturmeldungen haben, eine verwackelte Handy-Filmaufnahme und dünne Twitter-Nachrichten der Polizei – was soll ich Ihnen da am Morgen berichten? Aus Verzweiflung, dass es nichts an Informationen darüber gibt, was da wirklich passiert ist, greift man dann zur BILD. Die sind in der Regel am schnellsten und haben den direkten Draht zu allen, die mehr wissen könnten. Aber auch die Kollegen wissen offenbar nicht mehr als der Rest der deutschen Journaille.

Eine Anwohnerin namens Lara Bauch sagte aus: «Erst dachten wir, dass auf der Baustelle so spät noch Arbeiten sind. Es hat sich dann herausgestellt, dass das nicht der Fall ist.» Ja, das kann man sagen. Die 23-jährige Studentin wohnt mit ihrem Freund in einer Seitenstraße gegenüber und hat aus ihrer Dachwohnung direkte Sicht auf den Tatort an der viel befahrenen Straße Deelböge.

Aber Sehen ist nicht gleichbedeutend mit Erkennen habe ich mal im Philosophieunterricht im Gymnasium Hermannstraße in Bad Salzuflen gelernt. Bleibt also nur ein Blick auf die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas, die wir alle kennen durch die stummen Gestalten in Fußgängerzonen, die schweigend ihren „Wachturm“ anbieten. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben irgendwo gesehen, dass jemand zu diesen Menschen gegangen ist und ein Heft haben wollte.

Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft mit eigener Bibel-Auslegung. Die Anhänger glauben an Jehova als «allmächtigen Gott und Schöpfer» und unterwerfen sich strengen Vorschriften. Sie sind davon überzeugt, dass eine neue Welt bevorsteht und sie als auserwählte Gemeinde gerettet werden. Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die «Weltzentrale» ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft mit weniger als 200.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa.

Passen Sie gut auf sich auf!

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.