Nach russischem Raketeneinschlag in Polen: NATO-Staaten kommen am Morgen zu Krisensitzung zusammen

ARCHIV - Die Nato-Staaten kommen zu einer Sondersitzung zusammen. Foto: Daniel Naupold/dpa

WARSCHAU – Wegen der tödlichen Explosion im polnischen Grenzgebiet zur Ukraine trifft sich die NATO am Mittwochmorgen zu einer Krisensitzung. Das teilte ein Nato-Sprecher mit.

Zuvor hatte Polen bereits einen Teil seiner Streitkräfte in erhöhte Bereitschaft versetzt. Dies gelte auch für andere uniformierte Dienste, sagte ein Regierungssprecher in Warschau. Die polnische Führung hielt zwei Krisentreffen ab. Auch die USA, die NATO und die EU verfolgten die Lage und äußerten sich besorgt. Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda sprach mit US-Präsident Joe Biden und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

In einem polnischen Ort etwa sechs Kilometer von der ukrainischen Grenze kamen bei einer Explosion auf einem landwirtschaftlichen Betrieb zwei Menschen ums Leben. Die Ursache für die Explosion in dem Ort Przewodow sei noch ungeklärt, sagte ein Sprecher der Feuerwehr in Hrubieszow.

Moskau dementiert

Sollte sich Berichte bewahrheiten, wonach die Explosion von Raketen ausgelöst wurde, wäre das der erste derartige Vorfall in dem seit fast neun Monaten dauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Polen, ein Nachbarland der Ukraine, ist Mitglied der EU und des westlichen Verteidigungsbündnisses NATO. Moskau dementierte die Berichte umgehend und sprach von einer «Provokation».

Ein Regierungssprecher in Warschau erklärte, man habe gemeinsam mit den Nato-Verbündeten beschlossen, zu überprüfen, ob es Gründe gebe, die Verfahren nach Artikel 4 des Nato-Vertrags einzuleiten. Artikel 4 sieht Beratungen der Nato-Staaten vor, wenn einer von ihnen die Unversehrtheit seines Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht sieht.

Zuvor hatte die Regierung in Warschau nach den unbestätigten Berichten über einen angeblichen Raketeneinschlag im Grenzgebiet zur Ukraine eine Sitzung des nationalen Sicherheitsrates und später auch eine Kabinettssitzung einberufen. Offizielle Angaben zur Ursache der Dringlichkeitssitzungen wurden zunächst nicht gemacht. Berichte legten allerdings einen Zusammenhang mit dem massiven russischen Raketenbeschuss auf das Nachbarland Ukraine nahe.

Warnung vor ungeprüften Informationen

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki berief den Sicherheitsrat zu einer außerordentlichen Sitzung ein, wie die polnische Nachrichtenagentur PAP berichtete. Regierungssprecher Piotr Müller warnte allerdings davor, ungeprüfte Informationen zu verbreiten. Alle Informationen aus dem Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung der polnischen Regierung sollten später auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, kündigte er laut PAP an.

In Polen, einem Land mit rund 38 Millionen Einwohnern, dienen aktuell rund 110.000 Soldaten in den Streitkräften. Hinzu kommen 30.000 Mitglieder des freiwilligen Heimatschutzes WOT. Die erhöhte Alarmbereitschaft solle nur für bestimmte Einheiten gelten, hieß es in Warschau. Die Regierung nannte keine weiteren Details.

Der private polnische Radiosender Zet hatte berichtet, zwei verirrte Raketen seien im Ort Przewodow eingeschlagen. Das Dorf liegt an einer großen Stromleitung, die die Netze der EU und der Ukraine verbindet.

Das Verteidigungsministerium in Moskau wies die Berichte über den angeblichen Einschlag in Polen dagegen als «gezielte Provokation» zurück. Es seien keine Ziele im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet beschossen worden, teilte das Ministerium mit. Auch die in polnischen Medien verbreiteten Fotos angeblicher Trümmerteile hätten nichts mit russischen Waffensystemen zu tun, hieß es weiter.

Massiver Beschuss der Ukraine

Die russische Armee hatte nach Kiewer Zählung die Ukraine mit mehr als 90 Raketen und Marschflugkörpern beschossen. Auch die westukrainische Stadt Lwiw war Ziel russischer Angriffe. Bürgermeister Andrij Sadowij sprach von Schäden am Energiesystem. Lwiw liegt Luftlinie etwa 60 Kilometer von Przewodow entfernt.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schrieb den Zwischenfall eindeutig Moskau zu. «Dies ist ein russischer Raketenangriff auf die kollektive Sicherheit! Dies ist eine sehr bedeutende Eskalation», sagte er. «Wir müssen handeln.»

Ein Vertreter der Nato erklärte in Brüssel, die Berichte würden geprüft. Es gebe eine enge Abstimmung mit dem Verbündeten Polen, hieß es weiter. Das US-Verteidigungsministerium wiederum erklärte, Berichte über den angeblichen Einschlag von zwei russischen Raketen in Polen würden geprüft. Die Presseberichte seien dem Pentagon bekannt, sagte ein Sprecher in Washington. Zum jetzigen Zeitpunkt habe das Ministerium aber keine Informationen, die diese Berichte bestätigen könnten. «Wenn wir ein Update zur Verfügung stellen können, werden wir dies tun», sagte der Sprecher weiter.

EU-Politiker zeigen sich alarmiert

«Ich bin schockiert über die Nachricht, dass eine Rakete oder andere Munition Menschen auf polnischem Gebiet getötet hat», schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter. Er drücke den betroffenen Familien sein Beileid aus. «Wir stehen an der Seite Polens.»

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen reagierte ebenfalls besorgt. «Ich bin alarmiert über Berichte über eine Explosion in Polen, nach einem massiven russischen Raketenangriff auf ukrainische Städte», schrieb von der Leyen auf Twitter. «Wir beobachten die Situation genau und stehen in Kontakt mit den polnischen Behörden, Partnern und Verbündeten.»

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zeigte sich betroffen. «Meine Gedanken sind bei Polen, unserem engen Verbündeten und Nachbarn», schrieb die Grünen-Politikerin auf Twitter. «Wir beobachten die Situation genau und stehen in Kontakt mit unseren polnischen Freunden und Nato-Verbündeten.» Auch der französische Präsident Emmanuel Macron teilte mit, er stehe in Kontakt mit den polnischen Behörden.

Bildquelle:

  • Nato: dpa

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