von JULIAN MARIUS PLUTZ
BERLIN – Vor 16 Jahren schrieb Henryk Broder ein Buch über die Lust am Einknicken. „Hurra, wir kapitulieren“, hieß es und löste eine Debatte darüber aus, wie weit wir es mit der Kultursensibilität treiben sollen. Als Beispiel brachte der Autor den Umgang mit dem Islam in unserer Gesellschaft. Sollten wir es zulassen, dass in Moscheen Anfeindungen gegenüber Deutschen gepredigt wird? Hat das Kopftuch in Schulen etwas zu suchen? Sollte es Islamunterricht geben? Dürfen Angestellte sich einen Gebetsraum „erklagen?“
Heute, 2022, sind wir da schon weiter. Alle Fragen werden wie selbstverständlich mit „Ja“ beantwortet. Die Gesellschaft scheint sich an einer schleichenden Islamisierung nicht mehr zu stören. Zu stiefmütterlich ist ihr Verhältnis zur eigenen Identität, was man durchaus als pathologisch bezeichnen kann. Wenn der Vizekanzler sagt, er kann mit Deutschland „nichts anfangen“ und fand „Vaterlandsliebe stets zum kotzen“, dann kann man mit gutem Gewissen sagen: Glückwunsch Deutschland, du hast es geschafft!
Willkommen in der Empfindlichkeitsgesellschaft
Und so wundert es überhaupt nicht, dass im oberbayrischen Ebersberg ein Schulleiter dem Druck einiger Lehrer mit Migrationshintergrund nachgegeben hat. Diese hätten sich offenbar durch bauchfreie T-Shirts von Schülerinnen gestört gefühlt, weshalb der Rektor ein Verbot erlassen hatte. Schülerinnen protestieren jetzt für ihre Mitschülerinnen bauchfrei gegen das Verbot, schreibt der Münchner Merkur. Man müsse Rücksicht nehmen auf Lehrer aus anderen Kulturkreisen, sagt der Schulleiter Markus Schmidt, denn die Schule sei „weltoffen“. „Das Recht des Einzelnen hört da auf, wo sich andere gestört fühlen“, so der Schmidt. Standesgemäß groß ist der Protest, auch von Eltern.
Willkommen in der Empfindlichkeitsgesellschaft. Sobald Gefühle verletzt werden, so der Schulleiter, endet das Recht des Einzelnen. Sie fühlen sich von einem bauchfreien Top gestört? Schade, bitte verbieten! Sie stört der sächsische Dialekt? Muss verboten werden. Ihre Religion verbietet schwarze Menschen? Na, dann müssen wir eben schwarze Menschen verbieten. Es muss nur irgendein Unsinn in irgendeinem alten Buch stehen bis dies ein kulturverwahrloster Akademiker in leitender Funktion aufnimmt, ernst nimmt und übernimmt.
Hurra.
Es gibt kein Recht darauf, dass religiöse Gefühle nicht verletzt werden dürfen. Wo kämen wir dahin, wenn jede Sekte uns ihre Empfindlichkeiten aufdrückt? Ah, ja, klar, vergessen: Nach Deutschland. Doch der eigentliche Skandal ist, dass das Vorgehen in Ebersberg ein ziemlich plumper Fall von Sexismus ist. Denn das Verbot betrifft Frauen und zwar ausschließlich. Damit wertet man das weibliche Geschlecht anders als das männliche. Frauen haben nun mal die verflixte Eigenschaft, für heterosexuelle Männer begehrenswert sein zu sein. Wenn man ehrlich ist, degradiert der Schulleiter Mädchen zu reinen Lustobjekten. Alles im Zeichen der Toleranz. Weltoffen geht die Welt zu Grunde.
Wie servil mag sich eine Gesellschaft noch geben? Mit diesem pathologischen Devotismus vervollkommnet dieses Land ihre lustvolle Selbstaufgabe. Voller stolz kapituliert sie vor sich selbst. Hurra.
Bildquelle:
- Top_bauchfrei: TheGermanZ